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Die Monster von Templeton

Die Monster von Templeton

Titel: Die Monster von Templeton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Groff
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Sols Schenkel. «Küss mich.»
    Er beugte sich über den schmiedeeisernen Tisch und schob ihr seine weingetränkte Zunge in den Mund. Sie küsste ihn zurück. Fummelnd bahnten sie sich ihren Weg hinein, und da drinnen, auf dem alten Dielenboden des Esszimmers, auf Dielen, die die schöne und stolze Hetty Averell einst auf Händen und Füßen geschrubbt hatte, dort, auf jenen alten Dielen, wurde ich gezeugt.
    An diesem Abend beendete Vi ihre Geschichte, indem sie uns ins Esszimmer führte und mit großer Würde auf die genaue Stelle meiner Empfängnis wies. Wir stellten uns im Kreis auf und schauten hinab. Vielleicht bildete ich es mir ja nur ein, aber ich meinte einen hellen Fleck an der Stelle zu sehen. Ich musste den Blick abwenden.
    «Das», sagte Clarissa, «ist wirklich komisch.»
    Vi seufzte und führte uns zurück in die hell erleuchtete Küche. «Ich blieb hier, weil er am nächsten Tag nach Manhattan abdampfte, und dann wartete und wartete ich, dass er wiederkam und mir noch ein ‹Angebot› für das Haus machte, wenn ihr wisst, was ich meine. Aber er tat es nicht. Und als ich ihn das nächste Mal sehe, bin ich schon im vierten Monat, und er hat seine Frau am Arm, und ich hab es
einfach nicht über mich gebracht,
es ihm zu sagen. Ich hatte nicht gewusst, dass er heiraten wollte, aber als ich mir die beiden anschaute, wusste ich irgendwie, dass es nicht von Dauer sein würde. Deshalb hab ich einfach beschlossen, es durchzuziehen. Es würde höchstens ein Jahr oder so dauern, bis sie sich trennen würden, da war ich mir sicher, und dann würde ich irgendwie bei ihm auftauchen, mit Willie auf dem Arm, und sagen:
Schau dir mal die Kleine hier an – ist sie dir nicht wie aus dem Gesicht geschnitten?»
Hier hielt Vi inne und schüttelte den Kopf. «Ich glaube» – sie seufzte –, «damals habe ich zu viele historische Romane gelesen.»
    «Aber», mutmaßte ich, «das ist nie geschehen. Du hast mich nie zu ihm mitgenommen.»
    «Das ist nie geschehen, nein», bestätigte sie. «Seine erste Ehe hielt fünf Jahre. Zuerst war ich ein wenig, wie soll ich sagen, aus den Angeln gehoben. Ich verfolgte seine Frau im Kaufhaus. Ich betrank mich und legte Feuer auf seiner vorderen Veranda, die war aber aus Stein und brannte nicht. Am Ende hab ich’s irgendwie verkraftet. Kam wieder zur Vernunft. Ich wollte nicht, dass er es erfuhr. Ich glaube, er hatte nie eine Ahnung, wer du wirklich bist, Willie – ich glaube, er dachte, ich verfolge ihn, weil ich Kapitalismuskritikerinwar und ihn bekämpfen wollte. Er hat nie erfahren, dass du sein Kind bist.»
    Eine ganze Weile saßen wir da und grübelten über all das nach. Clarissa nippte nachdenklich an ihrem Tee, und die Henkeltasse sah in ihren knochigen Händen dermaßen riesig aus, dass ich mich zusammenreißen musste, sie ihr nicht abzunehmen, weil ich Angst hatte, sie würde sich die Gelenke brechen. Und dann schaute ich zu meiner Mutter hoch und bemerkte, dass sie mich mit einem seltsamen Funkeln im Auge betrachtete – Belustigung? Stolz? Erleichterung? –, und ich ließ meine eigenen Augen schmal werden und runzelte ein wenig die Stirn. So schauten wir uns eine Weile an, bis in meinem Kopf alle Dämme brachen und sich so etwas wie drei Tonnen Wildwasser darin ergossen. Vielleicht hatte sie das ja die ganze Zeit schon im Sinn gehabt, die schlaue alte Vivienne. Vielleicht war das ja ihr großer Plan gewesen, um mich zu heilen. Sie kannte mich in- und auswendig; sie kannte meine Besessenheit und wie lernbegierig ich als kleines Kind gewesen war. Sie hätte mir so leicht verraten können, wer mein Vater war, aber ich hatte einfach selber herausfinden müssen, welches Gewicht unsere Familie mit sich herumschleppte; ich musste für meine Erlösung etwas tun. Am liebsten hätte ich quer durchs Zimmer etwas nach ihr geworfen – eine Vase, ein Buch, zur Not auch Reverend Milky –, aber meine Mutter hauchte mir nur einen Kuss zu und lächelte in ihren Kaffeebecher hinein.
    In diesem Moment erhob sich von unten ein seltsam quietschendes Geräusch, als wäre da ein Nagetier, das über unsere Füße huschte, und ich lugte unter den Tisch, um zu sehen, was es war. Doch als ich wieder aufblickte, saßen Clarissa und Vi da und starrten Reverend Milky an, dessen Gesicht ganz rot war. Er blies die Backen auf, seine Augen waren zusammengekniffen, und dabei stieß er kleine, quiekende Geräusche aus. Schließlich konnte er nicht mehr an sich halten und brach in schallendes Gelächter

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