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Die Monster von Templeton

Die Monster von Templeton

Titel: Die Monster von Templeton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Groff
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aus, wobei er so sehr auf dem Stuhl hin und her wackelte, dass dieser unter seinem Gewichtknirschte; sogar ein paar Tränen liefen über die rot geäderten Wangen. Ich konnte nicht anders, ich musste einfach lächeln beim Anblick dieses fleischigen, wabbeligen Mannes mit dieser atemlosen Lache und dem zusammengenagelten Kruzifix, das auf seinem Bauch ein lustiges Tänzchen vollführte.
    «Du», keuchte er meine Mutter zwischen weiteren Lachsalven an, «bist wirklich eine bemerkenswerte Frau, Vivienne. Du hast seine
Veranda
in Brand gesetzt.»
    Ich schaute meine Mutter an und sagte: «Na ja, das verheißt nur Gutes. Um ehrlich zu sein, hatte ich geglaubt, er kann gar nicht lachen.»
    Sie antwortete mir mit einer leicht hochgezogenen Augenbraue. «Glaubst du etwa, ich würde mich für den Rest meines Lebens mit einem Miesepeter einlassen?»
    Clarissa sah aus, als wollte sie etwas sagen, denn ihr Mund verzog sich spöttisch, und sie warf mir auf ihre alte, ironische Art einen Blick zu, aber dann überlegte sie es sich anders und sagte bloß: «Du, Vi? Mit einem Miesepeter leben? Niemals!» Und entweder hatte sie gerade was im Auge, oder sie blinzelte meiner Mutter zu, jedenfalls tat ich so, als hätte ich es nicht bemerkt. Stattdessen schaute ich Milky an, der sich das Gesicht abwischte und immer noch ein bisschen vor sich hin gluckste, streckte dann die Hand aus und schlug ihm auf die Schulter.
    «Ganz ehrlich, Milky», sagte ich zu ihm, «deinetwegen ist mir gerade richtig warm ums Herz geworden. Vielleicht bist du ja doch ganz okay für meine Mutter.»
    «O Mann», sagte er. Und brach wieder in Gelächter aus.

Teratologie oder: Von Ungeheuern in Farbe, in Zähnen, Holz, Blech oder Stein, auf Bergen, in den Sternen
    Das Bild sitzt in meinem Denken wie festgewachsen. Ich spüre ein Geheimnis, das sich dahinter verbirgt.

J OHN G ARDNER , Grendel
    In den Wochen nach dem Tod des Ungeheuers verblasste es in unserer Erinnerung. Langsam reisten die Filmcrews ab, eine nach der anderen; die Taucher kamen nach ihren Tauchgängen achselzuckend wieder an die Oberfläche; die Taucherglocken kreisten in den schlammigen Tiefen und fanden keine Überreste des Ungeheuers, keinen Bau, keine Nachkommenschaft, nichts; und selbst die Kinder vergaßen ihre Angst vor dem Wasser und flitzten wieder mit ihren winzigen Jetskis und ihren leicht zur Seite geneigten Segelbooten auf dem See herum. In den verwirrenden Tagen des späten August und frühen September wirkte Templeton ganz normal, fast noch etwas ruhiger als sonst.
    Dann urplötzlich, als wir gerade begonnen hatten, unser liebes Ungeheuer zu vergessen, tauchte es mit Donnerhall wieder aus der Dunkelheit auf. Doktor Herman Kwan, der mit den blühenden Schweißrosen aus den Abendnachrichten, veröffentlichte einen dreiundsechzig Seiten langen Artikel in genau der Ausgabe von
Nature,
in der auch mein– Dwyers – Artikel erschien. Der Essay von Kwan et al. «Eine neue Spezies, Art, Familie? Was wissen wir über
Templetonia Portentum?
» endete zwei Seiten vor dem Beginn von: «Archäologische Beweise für die alaskische Völkerwanderung mehr als 25000 Jahre vor Christus» aus der Feder von Dr. Dwyer und weiteren einundzwanzig Coautoren.[ 1 ]
    Ein Kopf-an-Kopf-Rennen in Sachen wissenschaftlicher Sensationslust, wie duellierende Banjos.
    Weitaus interessanter war jedenfalls die Untersuchung über das Ungeheuer von Templeton. Die trüben Untiefen wissenschaftlichen Jargons und Syntax umschiffend – warum, frage ich mich immer, glauben Wissenschaftler eigentlich, Unlesbarkeit sei gleichbedeutend mit Intelligenz? –, stellte Kwans Artikel im Grunde die These auf, das Ungeheuer aus unserem See sei ein in der Weltgeschichte einzigartiges Wesen, und führte im Folgenden auch die Gründe dafür auf.
    Und da es immer gut ist, ein Bild vor Augen zu haben, wenn die Rede von Abstraktionen ist, hier eine Abbildung aus jenem Bericht.

    Eine «künstlerische» Darstellung von Flimmy. Bedauerlicherweise handelt es sich bei dem einzigen «Künstler», der in Templeton lebt, um denfünfundsiebzigjährigen Collagisten Milton Witherbee, der nie ganz seine von Max Ernst inspirierte surrealistische Phase überwunden hat und der Schöpfer von «Kunst» wie dieser Abbildung von Flimmy ist, die, wenn wir ehrlich sind, nur sehr wenig mit dem wirklichen Aussehen unseres Ungeheuers aus dem Flimmerspiegelsee zu tun hat. Zwei Wochen nach der Vollendung dieser Arbeit setzte Witherbee unter Tränen sein Atelier in

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