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Die Moralisten

Titel: Die Moralisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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gegenüber. Ich setzte mich und blickte zu ihm auf. »Ich hatte nicht die Absicht, Ihnen ins Gehege zu kommen, Joel«, sagte ich.
    Sein Lächeln war unaufrichtig. »Sie kommen mir nicht ins Gehege, Mike«, entgegnete er rasch. »Schließlich haben Sie ja mit dem Alten bei der Voruntersuchung zusammengearbeitet. Ich habe vollstes Verständnis.«
    Auch ich hatte vollstes Verständnis. Er wusch sich von vornherein, sollte dieser Fall schiefgehen, die Hände in Unschuld. Das bedeutete jedoch nicht, daß er den Fall nicht gern selber übernommen hätte. Er gab sich nach außen hin sehr zufrieden, und er gehörte auch nicht zu den Menschen, die ein Risiko auf sich nahmen.
    »Ist Alec da?« fragte ich. Alec Carter war der andere Staatsanwalt, der dem Alten assistierte.
    »Sie kennen doch Alec«, antwortete Joel mit undurchsichtiger Miene. »Aber er hat Ihnen die Aufzeichnungen des Alten auf den Schreibtisch gelegt.«
    Ich kannte Alec. Er hatte nervöse Nieren und verbrachte vor Beginn eines Prozesses die meiste Zeit auf der Toilette. Kaum betrat er jedoch den Gerichtssaal, war er völlig ruhig. Ich warf einen Blick auf meinen Schreibtisch. Vor mir lagen die sauber getippten Aufzeichnungen.
    »Wenn Sie etwas brauchen, Mike, ich bin in meinem Büro«, sagte Joel.
    »Vielen Dank, Joel«, antwortete ich und blickte ihm nach, während sich die Tür hinter ihm schloß. Ich zog ein Päckchen Zigaretten aus der Tasche und zündete mir eine an, bevor ich die Papiere auf meinem Schreibtisch durchsah.
    Gleich obenauf lag die Anklageschrift. Es war mir, als ob die fetten schwarzen Buchstaben auf mich zuschossen.
    Das Volk des Staates New York gegen Maryam Flood, Angeklagte
    Ein jäher Schmerz packte mein Herz. Von nun ab mußte ich mit dieser Sache leben. Ich schloß die Augen. Ich hätte mich doch nicht vom Alten in die Sache hineintreiben lassen sollen. Die Wurzeln reichten zu tief hinab.
    Ich atmete schwer auf und versuchte, den Schmerz in meiner Brust zu überwinden. Würde ich jemals frei von ihr sein, fragte ich mich. Ich mußte an jenen Augenblick denken, an dem ich sie zum erstenmal gesehen hatte. Tausend Jahre schienen verstrichen.
    Ich hatte in jenem Sommer so etwas Ähnliches wie eine Arbeit, am Zeitungskiosk an der Ecke der 86. Straße und der Lexington Avenue. Am Samstagabend und Sonntagmorgen mußte ich dort die Zeitungen mit den vielen Beilagen ordnen. Um neun Uhr abends fing ich an und arbeitete die ganze Nacht hindurch bis halb elf am nächsten Morgen. Damals war ich achtzehn, und meine Mutter verlangte, ich dürfte auf keinen Fall die Messe versäumen. So besuchte ich auf dem Heimweg die Messe in St. Augustin.
    Dieser Sonntag war nicht anders gewesen als jeder andere. Ich gelangte in der letzten Minute in die Kirche, schlich mich auf eine der fast leeren hinteren Bänke und schlief sofort ein. Doch kaum hatte ich die Augen geschlossen, verspürte ich einen leichten Stoß in der Seite.
    Automatisch machte ich ein wenig Platz, um dem Neuankömmling zu ermöglichen, in die Bank hineinzutreten. Wieder ein Anstoßen. Dieses Mal öffnete ich die Augen. Es dauerte eine ganze Weile, bevor mir klar wurde, was ich eigentlich sah. Dann hielt ich den Atem an und ließ sie vorbeigehen.
    Die ältere Frau streifte ich kaum mit einem Blick. Das ausgeblichene, graublonde Haar und das müde Gesicht interessierten mich nicht. Sie drängte sich an mir vorbei und murmelte ein paar leise Worte, die ich als eine Entschuldigung auffaßte. Aber das Mädchen war es, die Tochter, die mich in meinem Innersten berührt hatte.
    Das blonde Haar umrahmte ihr Gesicht wie schimmerndes Gold; dazu der übermütige, volle Mund, sinnlich hellrot geschminkt, die leicht geöffneten Lippen und die weißen Zähne, die in ihrem Schatten sichtbar wurden! Die schmale, fast klassische Nase, deren Nasenflügel plötzlich unter den hoch angesetzten Backenknochen zu beben begannen, und die braunen feinen Brauen, die ihre Augen hervorhoben!
    Diese Augen waren etwas für sich. Sie lagen weit auseinander und waren von tiefem Braun, mit einem höllischen Grün am Rand der Iris gesprenkelt. Es waren warme, strahlende, intelligente Augen, und sie verrieten eine Leidenschaft, von der ich noch nichts wußte. Sie waren erregend und anziehend zugleich.
    Ich versuchte in sie hineinzublicken, vermochte jedoch eine unsichtbare Schranke nicht zu überwinden. Braune Augen haben etwas an sich, das ich niemals zu ergründen vermochte. Man kann nicht in sie hineinblicken und in ihnen

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