YANKO - Die Geschichte eines Roma
D
a sitze ich nun und versuche alles mal aufzuschreiben.
Ich glaube, ich muss das wirklich tun. Diese Möglichkeit habe ich noch nicht ausprobiert, um irgendwie wieder auf die Reihe zu kommen und glücklich zu sein. Ich schreibe es nicht für andere, ich schreibe es nur für mich, damit ich mich freimachen kann, damit ich wieder Vertrauen finde und die schönen Seiten des Lebens genießen kann, denn ich weiß, dass es sie gibt. Eigentlich dachte ich alles sei vorbei, denn alles, was ich zum Leben brauchte war hier bei mir gewesen, war so nah, zum Vergehen nah, und jetzt kann ich mich nicht fallen lassen.
Ganz tief in mir sitzt die Angst wieder alles zu verlieren.
Es ist schwer, ich habe noch nie so geschrieben, und ich weiß nicht, was am Ende hier vor mir liegen wird, und wie es mir dabei gehen wird, während ich alles hier aufs ”Papier” bringe, aber ich muss da jetzt durch, sonst werde ich immer wieder kämpfen und wieder verdrängen. Ich hoffe, es wird die Medizin sein, die ich brauche. Ich muss lernen ganz ehrlich zu sein und alles aufschreiben und nichts zurückhalten, alles noch einmal Revue passieren lassen.
Ich habe so viel vergessen, weil ich damals, so wie heute auch noch, niemanden damit belasten wollte – ich habe es verdrängt, alles zugeschüttet...
Oh Scheiße, ich habe echt Angst vor diesen leeren Seiten...
Eine warme Sommerbrise ließ das Wasser auf dem kleinen See unterhalb seines Blockhauses glitzern. Es war Juli, und die Sonne schien kräftig und tauchte die wunderschöne Berglandschaft Colorados in strahlendes Licht. Hoch oben am Himmel zog ein Steinadler seine Kreise.
Mit sechzehn bin ich nach Deutschland gekommen, nachdem mein Vater gestorben war. Wir hatten früher einen Zirkus und waren zu dieser Zeit meistens in Spanien unterwegs gewesen. Als mein Vater tot war, ging uns ziemlich schnell das Geld aus, denn die spanische Regierung hatteplötzlich die Preise für die Winterquartiere erhöht, und so mussten wir den Zirkus verkaufen und andere Arbeit finden. Meine Mutter ging mit meinem Bruder zu Onkel John nach Sheddy in die USA und ließ mich in Deutschland bei Pflegeeltern zurück, damit ich zur Schule gehen konnte.
Von da an war alles nur ein Kampf gewesen, vor allem Kampf gegen die Einsamkeit, und weil ich mit Menschen zusammen war, für die andere Dinge wichtiger waren als Familie, Gemeinschaft und Liebe.
Ich wohnte schließlich bei einem Ehepaar, das mich nicht verstanden hat, zuerst weil ich die deutsche Sprache nicht konnte und sonst, weil ich eben nicht so war, wie sie es gerne gehabt hätten. Sie hatten sich zunächst schon bemüht, aber später nicht mehr, und ich habe mehr die Straßen kennengelernt, als die Schule besucht. Ihr Bemühen endete schlagartig, als sie irgendwie erfahren hatten, dass ich ein Roma bin. Ab dann hatten sie mich wahrscheinlich nur noch deshalb geduldet, weil sie vom Amt Geld für mich bekamen. In dieser Zeit bin ich mit allen möglichen Leuten herumgezogen.
Nach einem Jahr hatte mir meine Mutter dann mitgeteilt, dass sie noch immer keine Arbeit gefunden hatte und ich doch noch länger in Deutschland bleiben müsste, solange bis sie endlich welche gefunden, und damit dann auch Geld für uns alle hätte.
An diesem Tag habe ich angefangen zu trinken. Jeden Tag, ständig – ich wollte nichts mehr hören, nichts mehr sehen, und ich habe versucht das alles zu verdrängen, weil ich es nicht wahrhaben wollte!
Yanko saß auf der Veranda und tippte das alles in seinen Laptop, der vor ihm auf dem Tisch stand. Er versuchte sich zu konzentrieren, was ihm aber nicht sonderlich gut gelang und sein Blick schweifte dabei immer wieder gedankenverloren über den See. Aber er hatte sich fest vorgenommen da durch zu gehen.
Eines Tages dann starb meine Pflegemutter. Ich habe trotzdem Blumen auf ihrem Grab gepflanzt und bin oft zum Friedhof gegangen und habe mit ihr gesprochen. Irgendwie hatte ich Mitgefühl mit dieser merkwürdigen, harten Frau, die unfähig war Liebe zu geben und zu empfangen und auch keine eigenen Kinder hatte.
So auch an jenem Tag, der alles in meinem Leben für immer verändert hatte, dieser Tag, an dem es plötzlich wieder Sonne in mir gab, an dem ich leicht wurde und so herrlich ruhig. An diesem Tag fiel alles von mir ab, der ganze Dreck und alles Dunkel war weg, so wie wenn es einfach so sein musste.
Ich spürte plötzlich hinter mir etwas, was mir den Atem geraubt hatte, und mein Herz hatte wild angefangen zu schlagen. Ich stand eine
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