Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Trias

Titel: Trias Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Kayser
Vom Netzwerk:
1
    Bundesstraße B 115, Richtung Görlitz, Ostsachsen, 11. November 2010, 14:25 Uhr
    Das Wetter war mies an diesem Novembertag. Vom nahen Grenzgebiet zu Polen zog Nebel Richtung Westen, der sich kalt und schwer auf die Straßen legte.
    Fichtenwälder erstreckten sich an der breiten Allee zwischen den Käffern Krauschwitz und Weißkeißel; die wenigen Laubbäume dazwischen hatten ihre Blätter längst verloren und bildeten an den Enden der Zweige feine braune Spitzen heraus.
    Die Nebelwand verschluckte den mächtig wirkenden Audi für einige hundert Meter. Sein Fahrer nahm das Tempo zurück. Während er auf die von den gleißenden Scheinwerfern bestrahlte Waschküche starrte, las Stefan Rumpf, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, unter einem Leselicht die aktuellen Börsendaten der FAZ . Der ranghohe Beamte hatte zwei Tage zuvor für etliche tausend Euro Öl-Aktien des russischen Unternehmens Petrolis geordert.
    Rumpf war 62 Jahre alt. Er trug das Haar kurz geschoren und hatte ein gebräuntes Gesicht; der Hemdkragen unter seiner Krawatte stand offen. Sein Referent, ein alerter Typ mit Gel in den Haaren, saß schweigend neben dem Fahrer und döste.
    Ein Handy klingelte.
    »Ja?«, sprach der Staatssekretär in sein Telefon. Seine Frau Emma war in der Leitung. Sie waren seit achtzehn Jahren verheiratet. Am Morgen hatten sie sich mal wieder mit scharfen Worten verabschiedet. Sie waren sich längst nicht mehr so nahe wie einst.
    »Müssen wir uns denn jeden Morgen im Streit verabschieden?«, drang ihre Stimme aus dem Hörer.
    Rumpf legte schützend eine Hand vor den Mund. »Nur dann, wenn du jedes Wort von mir auf die Goldwaage legst«, zischte er.
    »Sei nicht albern, Stefan. Sind wir wirklich nicht mehr in der Lage, ein normales Gespräch zu führen?«
    Rumpf hörte, wie seine Frau schwer in den Hörer atmete.
    »Offensichtlich nicht«, sagte er. Seine Stimme klang rau.
    Es hatte ihnen geschadet, seit Jahren den gleichen Arbeitgeber zu haben. Die Themenlagen am Abend und in der Freizeit waren beinahe deckungsgleich. Seine Frau sah das ähnlich, nur nicht so rigide.
    »Manchmal denke ich, wir sollten uns trennen«, sagte sie eher flüsternd, auch wenn es das Gegenteil von dem war, was sie eigentlich wollte.
    »Können wir dieses Gespräch auf später verschieben?«, erwiderte Rumpf herrisch. Er spürte einen starken Unmut in sich aufsteigen.
    Rumpf war mit seinem Referenten auf dem Weg zu einer inoffiziellen Lagebesprechung der Bundespolizei in Görlitz. Dort machte man sich Sorgen über eine zunehmende Anzahl von Schleusergruppen, mit deren Hilfe Arbeit suchende Südosteuropäer über den Grenzfluss Neiße nach Deutschland einsickerten und irgendwo als Schwarzarbeiter landeten. Auffällig war deren jugendliches Alter. Rumpfs blutige Aktentasche enthielt Papiere mit einer kompletten Suchliste von Männern, die aus beiden Ländern geflüchtet waren und in Deutschland vermutet wurden. In Görlitz warteten seine Amtskollegen aus Bukarest und Tirana. Sie erhofften sich Unterstützung bei der Verhinderung dieser Nomadenbewegungen.
    Das Treffen war auf 14 Uhr 30 angesetzt. Wegen des Nebels würden sie unpünktlich sein.
    »Wie du meinst«, antwortete sie kühl.
    Rumpf drückte ohne Abschied auf die Taste seines Mobiltelefons, das einen piepsenden Klagelaut von sich gab. Nur Sekunden später bereute er seinen Jähzorn.
    Das Funkgerät im Wagen fiepte, ein rotes Lämpchen leuchtete. Der Fahrer drückte auf einen Knopf.
    »Wie weit seid ihr denn?«, ertönte verzerrt eine Stimme. Der Miniaturlautsprecher des Geräts klang überfordert.
    »Schon im Sorbengebiet, kurz hinter Weißkeißel und ein paar Kilometer vor Görlitz«, antwortete der Fahrer in das Gerät, ohne die Hände vom Lenkrad zu nehmen.
    »Ihr hättet längst da sein sollen, Henze.«
    »Wir sind eingenebelt, und die Straßen sind rutschig.«
    »Gib dennoch Stoff.«
    »Ja. Ich melde mich wieder, wenn wir da sind.«
    »Gut. Ende.«
    Das Lämpchen erlosch.
    »Wer war das?«, fragte Rumpfs Referent schleppend.
    »Der Dispatcher des Fahrdienstes. Er ist ein neugieriger Knochen.« Henze klang genervt.
    »Die in Berlin sollen doch ihre Klappe halten«, sagte sein Beifahrer anbiedernd und strich mit seinen angeknabberten Fingernägeln über das feine Leder des Sitzes.
    Henze nickte. Endlich mal einer, der ihn verstand.
    Er war ein kleiner Mann mit schütterem Haar, einem Oberlippenbart und kurzen Koteletten. Ein erfahrener Chauffeur, der sich bislang stoisch an die

Weitere Kostenlose Bücher