Die Morde des Herrn ABC
nachdenklich.
«Vouz croyez? Oh, Verrückte sind schlau! Und dann dürfen Sie nicht vergessen, dass ein solcher Mörder äußerlich absolut normal und unauffällig aussehen kann, dass er eben zu jener Sorte Mensch gehört, die man im Allgemeinen übersieht, nicht beachtet oder manchmal sogar auslacht.»
«Würden Sie mir jetzt die Tatsachen berichten, Mr. Clarke?», schnitt Crome diese Unterhaltung ab.
«Natürlich, gern.»
«Ihr Bruder war gestern gesund und so normal wie immer, nicht wahr? Erhielt er unerwartete Briefe? Hat er sich über irgendetwas aufgeregt?»
«Nein. Er war, soviel ich feststellen konnte, wie immer.»
«Also weder aufgeregt noch bekümmert?»
«Verzeihung, Inspektor, das habe ich nicht gesagt. Aufgeregt und bekümmert war mein armer Bruder tagaus, tagein.»
«Ach? Und weshalb?»
«Sie müssen wissen, dass es meiner Schwägerin, Lady Clarke, gesundheitlich sehr schlecht geht. Nur zu Ihnen gesagt: Sie hat Krebs – unheilbar – und wird nicht mehr lange leben. Ihre Krankheit hat meinen Bruder zutiefst erschüttert. Ich selber kam erst vor kurzem aus Ostasien heim und war entsetzt über die Veränderung, die mit ihm vorgegangen war.»
Hier warf Poirot eine Frage ein.
«Angenommen, Mr. Clarke, dass man Ihren Bruder erschossen aufgefunden hätte – vielleicht mit einem Revolver neben sich, was wäre dann Ihr erster Gedanke gewesen?»
«Offen gestanden hätte ich in diesem Fall sofort angenommen, dass es sich um Selbstmord handeln müsse.»
«Schon wieder!», sagte Poirot.
«Wie meinen Sie?»
«Eine Tatsache wiederholt sich. Nicht weiter wichtig.»
«Es war aber kein Selbstmord», stellte Crome eine Spur gereizt fest. «Man hat mir gesagt, dass Ihr Bruder jeden Abend einen Spaziergang unternahm.»
«Jawohl, das stimmt.»
«Jeden Abend?»
«Nun, wenn es Schusterjungen regnete, natürlich nicht.»
«Und jedermann im Hause wusste von dieser Gewohnheit?»
«Selbstverständlich.»
«Und Außenstehende?»
«Was verstehen Sie unter ‹Außenstehende›? Dem Gärtner könnte es natürlich auch bekannt gewesen sein, aber das weiß ich nicht.»
«Und die Leute im Dorf?»
«Wir haben hier genau genommen gar kein Dorf. Es gibt ein Postbüro und eine Reihe von Wohnhäusern in Churston Ferrers, aber ein richtiges Dorf mit Geschäften besteht gar nicht.»
«Ich nehme an, dass man einen Fremden, der sich in der Gegend herumgetrieben hätte, unweigerlich bemerkt haben würde?»
«Ganz im Gegenteil. Im August wimmelt es in dieser Gegend nur so von Fremden. Von Brixham, Torquay und Paignton kommen sie in Autos, Omnibussen und zu Fuß. Broadsands, das liegt dort unten, ist ein sehr beliebter Badestrand und Elbury Cove ebenfalls. Und überallhin kommt das Volk, um zu schwimmen und zu picknicken. Mir wäre es lieber, es käme nicht! Sie können sich nicht vorstellen, wie still und friedlich diese Landschaft im Juni und Juli ist.»
«Sie glauben also, ein Fremder wäre nicht aufgefallen?»
«Nein. Es sei denn, dass er irgendwie anormal ausgesehen hätte.»
«Dieser Mann sieht keineswegs anormal aus», stellte Inspektor Crome dezidiert fest. «Ich sehe die Sache so: Der Mörder muss sich wiederholt hier herumgetrieben haben und dabei darauf gekommen sein, dass Ihr Bruder jeden Abend spazieren ging. Da fällt mir ein: Es ist nicht zufällig gestern Abend ein unbekannter Mann da gewesen, der nach Sir Carmichael Clarke gefragt hat?»
«Vielleicht weiß Deveril Bescheid, aber mir ist nichts dergleichen bekannt.»
Er klingelte, und der Butler trat sofort ein.
«Nein, Sir, es hat niemand nach Sir Carmichael gefragt. Und mir ist auch kein Unbekannter aufgefallen, der sich in der Nähe des Hauses herumgetrieben hätte. Übrigens auch den Hausmädchen nicht, ich habe sie danach gefragt.»
Der Butler blieb wartend stehen. «Ist das alles, Sir?»
«Ja, Deveril, Sie können gehen.»
Als der Butler in den Korridor treten wollte, musste er einen Schritt zurückweichen, um einer jungen Dame Platz zu machen, die eben ins Zimmer kam.
Franklin Clarke erhob sich.
«Das ist Miss Grey, meine Herren, die Sekretärin meines Bruders.»
Mir fiel als erstes das erstaunlich nordisch anmutende Blond des Mädchens auf. Ihr Haar war aschfarben, die Augen hellgrau, und auch die durchscheinende Blässe des Teints erinnerte mich an Norwegerinnen und Schwedinnen, die ich gesehen hatte. Sie mochte etwa siebenundzwanzig sein und wirkte ebenso tüchtig wie dekorativ.
«Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?», fragte
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