Die Morde des Herrn ABC
den Untersuchungsrichter auf. Jedenfalls hat er nicht gelitten. Der Tod muss augenblicklich eingetreten sein.»
Mit diesen Worten entfernte er sich. «Ich will schnell noch nach Lady Clarke sehen», sagte er im Weggehen.
Eine Krankenschwester tauchte am Ende des Korridors auf, und der Arzt verschwand mit ihr in einem Zimmer. Wir betraten den Raum, aus dem der Arzt eben gekommen war. Ich verließ ihn rasch wieder. Thora Grey stand noch immer oben an der Treppe. Sie sah seltsam erregt und erschrocken aus.
«Miss Grey –» Ich stockte. «Ist etwas geschehen?»
Sie blickte mich an. «Ich dachte… über D nach!»
«Über D?» Ich starrte sie verständnislos an.
«Ja. Über den nächsten Mord. Es muss doch etwas unternommen werden! Das darf doch nicht weitergehen!»
Clarke trat aus dem Zimmer.
«Was darf nicht weitergehen, Thora?»
«Diese grauenvollen Morde.»
«Allerdings.» Er streckte herausfordernd das Kinn vor.
«Ich möchte einmal mit Monsieur Poirot sprechen… Taugt dieser Crome etwas?» Er stieß die Frage geradezu hervor.
Ich antwortete, dass Crome ein sehr tüchtiger und kluger Beamter sei; aber meine Stimme klang vielleicht nicht so überzeugend, wie es meine Absicht war.
«Er hat verdammt aufdringliche Manieren», sagte Clarke. «Tut, als ob er alles wüsste – und was weiß er tatsächlich? Nichts, soviel ich bemerkt habe!»
Er schwieg zwei Minuten lang. Dann schloss er: «Monsieur Poirot ist mein Mann! Ich habe einen Plan, aber darüber werden wir später reden.»
Daraufhin ging er den Korridor entlang und klopfte an die Tür, durch die der Arzt vorhin verschwunden war.
Ich sah ihm erstaunt nach. Das Mädchen blickte vor sich hin.
«Woran denken Sie, Miss Grey?»
«Ich frage mich, wo er jetzt sein mag… der Mörder, meine ich. Vor noch nicht zwölf Stunden ist es geschehen… Gibt es keine wirklichen Hellseher, die nun sagen könnten, wo er ist und was er tut?»
«Die Polizei untersucht den Fall», murmelte ich vage.
Dieser Gemeinplatz schien den Zauber zu brechen, Thora Grey riss sich zusammen.
«Ja», sagte sie höflich. «Natürlich.»
Sie ging die Treppe hinunter. Ich blieb stehen und grübelte über ihre Worte nach.
ABC… Wo mochte er jetzt sein?
16
Nicht von Hauptmann Hastings selbst erzählt
M r. Alexander Bonaparte Cust verließ mit einem Schwarm anderer Zuschauer das Kino von Torquay, wo er eben den Film Not a Sparrow gesehen hatte.
Er blinzelte ein wenig, als er in den Nachmittagssonnenschein hinaustrat, und spähte mit dem verlorenen, traurigen Hundeblick um sich, der so charakteristisch für ihn war.
«Das ist eine Idee…», sagte er leise zu sich selber.
Zeitungsverkäufer rannten schreiend durch die Straße.
«Letzte Nachrichten!… Mordbesessener Wahnsinniger in Churston…!»
Sie trugen kleine Plakate mit sich, auf denen groß geschrieben stand: «Mord in Churston! Letzte Meldungen!»
Mr. Cust suchte in seinen Taschen nach Kleingeld und kaufte sich eine Zeitung, aber er öffnete sie nicht sofort.
Im Princess-Park ging er langsam bis zu einem Gartenhaus, das dem Hafen von Torquay gegenüberlag. Dort setzte er sich nieder und entfaltete die Zeitung.
Große Schlagzeilen.
Sir Carmichael Clarke ermordet.
Entsetzliche Tragödie in Churston.
Das Werk eines mordlüsternen Verrückten.
Und darunter stand:
Vor kaum einem Monat versetzte der Mord an einem jungen Mädchen, Elizabeth Barnard aus Bexhill, ganz England in Schrecken und Erstaunen. Es sei hier daran erinnert, dass ein ABC-Fahrplan in jenem Fall eine Rolle spielte. Ein Exemplar dieses Kursbuches wurde nunmehr auch beim Leichnam von Sir Carmichael Clarke gefunden, was der Polizei Anlass zu der Ve r mutung gibt, dass beide Verbrechen von ein und derselben Person begangen worden sind. Kann es wirklich möglich sein, dass ein ir r sinniger Mörder unsere Badeorte unsicher macht…?
Ein junger Mann in Flanellhosen und blauem Polohemd, der neben Mr. Cust saß, bemerkte: «Scheußliche Geschichte, wie?»
Mr. Cust fuhr zusammen.
«Wie?… Oh, sehr, sehr… scheußlich, gewiss.»
Dem jungen Mann fiel auf, dass die Hände seines Nachbarn so zitterten, dass er kaum das Zeitungsblatt halten konnte.
«Bei Verrückten kann man nie wissen», fuhr der junge Mann fort, um das Gespräch nicht einschlafen zu lassen, «weil sie nämlich gar nicht immer verrückt aussehen, wissen Sie. Manchmal kommen sie einem genauso normal vor wie Sie und ich…»
«Ja, das kann schon sein», stimmte ihm Mr. Cust
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