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Die Moselreise - Roman eines Kindes

Titel: Die Moselreise - Roman eines Kindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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Beispiel Berlin, wo ich es kaum einmal mehr als einige Tage ausgehalten habe und von wo ich schon oft nach nur einem einzigen Aufenthaltstag fluchtartig wieder verschwunden bin.
    Der stete Mittelpunkt der Heimatstädte ist dagegen meine Geburts- und Kindheitsstadt Köln, in die ich nun wiederum zu allen möglichen Gelegenheiten und manchmal sogar regelrecht panikartig hin reise, um dort zumindest einige Stunden zu verbringen. So setze ich mich an einem Sonntagmorgen plötzlich in Stuttgart in einen ICE und fahre nach Köln, und so fahre ich, beruhigt und gestärkt, am späten Abend wieder zurück nach Stuttgart, wo ich seit beinahe dreißig Jahren lebe.
    Ein weiterer Mittelpunkt meiner Reisen ist die Heimatlandschaft des Westerwaldes, in dem meine Eltern aufgewachsen sind und wo ein kleines Ferienhaus steht, in dem ich ebenfalls noch viel Zeit verbringe. Schon der bloße Gedanke an dieses Haus kann mitten im alltäglichen Leben ein heftiges Heimweh auslösen, und dieses heftige Heimweh kann mitten im alltäglichen Leben dann dazu führen, dass
ich von einem Tag auf den andern in mein Elternhaus verschwinde, um dort zumindest einige Tage zu bleiben.
    Von Köln und dem Westerwald aus verläuft die geographische Linie der Heimatstädte und Heimatlandschaften südlich nach Mainz, Salzburg, Zürich, Venedig und Rom, westlich nach Paris, nördlich nach Hamburg und Lübeck und östlich nach Wien und weiter nach Prag. In diesem Koordinatennetz fühle ich mich also zu Hause, und auf dieses Koordinatennetz orte ich während meiner Aufenthalte in anderen Städten und Landschaften all diese Räume, um nach verborgenen Übereinstimmungen oder gar Ähnlichkeiten zu suchen.
    Meist beginnt diese Ortung schon mit dem Verlassen des Zuges und dem Gang hinaus aus einem Bahnhof. Immer ist da die unbewusste Frage danach, ob mir eine Stadt oder Landschaft auf irgendeine spürbare Weise entgegenkommt oder nicht. Freiburg zum Beispiel kommt mir schon nach wenigen Schritten (und dann in der Gehbewegung auf das Münster und den Markt zu) stark entgegen, Würzburg kommt mir auf dem Weg zur Residenz entgegen, und natürlich kommt mir München entgegen, sobald ich in die Nähe des Marienplatzes, des Viktualienmarktes oder des Englischen Gartens gerate.
    Oft hat das Entgegenkommen mit einer allmählichen Öffnung hin zu einem größeren, alten Platz oder einem größeren, älteren Bauwerk zu tun, und oft wird dieses räumliche Sich-Öffnen begleitet von einer atmosphärischen Öffnung: Von Gerüchen und Düften, von Wirtschaften und Lokalen, von Gesprächen und ersten Kontakten. Das »Entgegenkommen«
ist also eine Art von Ensemble, das alle Sinne berührt und diese Berührungen aufeinander abstimmt. Auf diese Weise entsteht ein stimulierender, sinnlicher Gesamteindruck, der sofort danach verlangt, notiert, skizziert und damit aufgehoben zu werden.
    Daher ist die Art und Weise, wie mir eine Stadt entgegenkommt, ganz konkret messbar. Die Messung nämlich schlägt sich nieder in der Spontaneität der Aufzeichnungen, in ihrer Fülle und in der Bereitwilligkeit, mit der ich mich dieser Arbeit hingebe. Komme ich also in eine fremde Stadt und beginne schon bald mit dem Notieren, Skizzieren oder auch Fotografieren, so ist das ein untrügliches Zeichen dafür, dass die jeweilige Stadt oder Landschaft mich an sich zu ziehen beginnt. Bleibt aber das Notieren und Fotografieren für längere Zeit aus, dann resigniert die Wahrnehmung, und ich spüre ganz deutlich, wie ich inmitten eines mir immer fremder werdenden Raumes von Minute zu Minute stärker erkalte. Nichts macht mir mehr Lust, fast alles stößt mich ab und platziert sich aufdringlich vor mir, ich muss weg, sofort, am besten gleich mit dem nächsten Zug.
    Sicher hat es in meinem Leben Ur-Erfahrungen gegeben, die ein so merkwürdiges Reiseverhalten ausgelöst und dann weiter geprägt haben. Eine zentrale Ur-Erfahrung war zum Beispiel meine erste Reise nach Rom und das nächtliche Ankommen auf der Stazione Termini in den späten sechziger Jahren. Damals kam ich dort mit der nicht unbegründeten Furcht an, dass mir der stärkste Fremdheits-Schock meines Lebens bevorstehe. Ich sprach kein Wort Italienisch, ja ich hatte das deutsche Sprachgebiet bis zu diesem Zeitpunkt
noch nie verlassen. Meine Furcht bezog sich aber nicht nur darauf, mit den Römern nicht sprechen zu können, sondern noch viel mehr darauf, in Rom von Stunde zu Stunde immer schweigsamer und schließlich wieder sprachlos zu werden.
    Dann

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