Die Muenze von Akragas
weg. Er geht normal, ganz ohne Beschwerden. Doch Pegoraro, der ihn behandelt, hat ihm auch für die nächste Woche noch streng verboten, aufs Pferd zu steigen. Um die Kranken auf dem Land wird er sich kümmern, der Kollege soll sich mit den Patienten im Ort befassen.
Die schlechte Laune des Doktors Gibilaro ist unterdessen dick und schwarz wie Ölschlamm geworden. ’Ndondò erträgt es nicht, sie droht ihm, mal will sie sich vom Balkon stürzen, mal in ein Klausurkloster gehen. Michele hat sich nach Palermo geflüchtet.
Dann kommt der langersehnte, strahlende Morgen.
Doktor Gibilaro schlägt um halb fünf die Augen auf, reckt die Glieder, steigt vorsichtig aus dem Bett… Und hört die Stimme seiner hellwachen ’Ndondò:
«Musst du denn wirklich unbedingt raus?»
Er antwortet nicht. Geht in die Küche.
Noch nie hat ihm ein Kaffee so gut geschmeckt.
Er beschließt, die übliche Patientenrunde zu machen, außerdem gibt es drei neue Kranke, Pegoraro hat ihm die Wege beschrieben, auf denen er zu ihren Häusern gelangt. Der Morgen ist sehr kalt, obwohl keine einzige Wolke am Himmel steht. Zu spät merkt er, dass er den Pfad eingeschlagen hat, der zu Amalia Cusumanos Häuschen führt. Was soll er hier? Amalia braucht sein Morphin nicht mehr.
Schon will er umkehren, als er sieht, dass Jolanda ihm entgegenläuft, die älteste der drei Schwestern.
«Ergebensten Gruß, Dottore. Möchtet Ihr ein Gläschen Wein?»
«Nein, danke. Bin nur gekommen, um euch mein Beileid auszusprechen.»
Jolanda zuckt schicksalsergeben die Schultern. Der Doktor bemerkt, dass das Häuschen vor kurzem weiß gestrichen wurde, die Fensterläden leuchten in einem satten Grün. Jolanda fängt seinen Blick auf. Sie erklärt es ihm.
«Wir Schwestern haben beschlossen, dass wir eine Woche lang abwechselnd hier arbeiten gehen. Sind genug Bauern da, morgens wie abends.»
Die Schwestern Cusumano haben ihr Tätigkeitsfeld erweitert.
Fünf Cosimo verschwindet
Es ist fast eins, er hat alle alten und neuen Patienten besucht, als er den Feldweg zum Sperone einschlägt. Er wird zu spät zum Mittagessen kommen. Unvermeidlich folgt dann ein ordentlicher Streit mit ’Ndondò.
In der Ferne gewahrt er drei Feldarbeiter, die den Boden umgraben. Jetzt hat er doch Herzklopfen. Als er näher kommt, heben die drei den Kopf, um ihn anzusehen.
Erstaunt bemerkt er, dass er sie nicht kennt, noch nie gesehen hat, und auch für die drei ist er ein Unbekannter.
Er ist verwirrt.
«Entschuldigt bitte», sagt er laut.
Einer der drei legt die Schaufel ab, kommt zum Feldweg.
«Was wünscht Ihr?»
«Ich bin Doktor Gibilaro. Vor euch haben hier drei Bauern mit Namen Cosimo, Antonio und Ernesto gearbeitet. Kennt ihr sie?»
«Nein. Wir sind aus Girgenti.»
«Aha. Und wisst ihr, ob…»
«Wir wissen nichts, und wir wollen nichts wissen», schneidet der Landarbeiter ihm das Wort ab, dreht ihm den Rücken zu und gräbt weiter.
«Wenn ich dir doch sage, dass ich drei neue Kranke hab! Das braucht Zeit!»
«Zwei», erwidert ’Ndondò.
«Wie zwei? Ich sage dir, es sind drei neue!»
«Es sind drei neue, aber ein alter ist dir gestorben, und wenn die Mathematik nicht bloß eine Meinung ist, macht drei weniger einer zwei.»
’Ndondòs Logik ist unerbittlich.
«In Wirklichkeit ist es so», fährt seine Frau fort, «dass du dich nicht damit zufriedengibst, den Kranken nur zu untersuchen. O nein, der Herr muss sich ja unbedingt informieren, wie’s der ganzen Familie geht, bis hin zum Urgroßvater, wenn er noch lebt! So verlierst du eine Menge Zeit. Und damit nicht genug, denn wenn du niemanden findest, mit dem du reden kannst, streunst du gern einfach so über die Felder.»
Da hat ’Ndondò recht. Das ist bei ihm nicht nur pflichtschuldiges berufliches Interesse, sondern tiefe menschliche Neugierde. So ist er eben. Von jedem seiner Patienten möchte er alles über dessen Privatleben wissen, von Geburt an.
Apropos alles wissen wollen, von Cosimo Cammarota weiß er nicht einmal, wo er wohnt. Besser gesagt, er weiß, dass Cosimo in einer einsam gelegenen Hütte in der contrada Belfico lebt, gleich neben einem riesigen Sarazenenolivenbaum, dem einzigen in der Gegend, aber er hatte nie Gelegenheit, ihn dort zu besuchen.
Doch wie man zur contrada Belfico kommt, weiß er, weil er in seiner ersten Zeit als Amtsarzt dort einen Patienten hatte, man muss einen Feldweg nehmen, der von der Straße nach Giardina abzweigt.
Es ist fast sieben
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