Die Muenze von Akragas
Arztes nicht würdig. Begleitet von ’Ntonio und seinem Maultier, nimmt er den Weg zum Krankenhaus von Girgenti.
Bevor er losgeritten ist, hat er Ernesto gebeten, nach Vigata zu gehen, um ’Ndondò und Michele von seinem Unfall zu berichten.
Erst als er im Krankenhaus im Bett liegt, sieht er den Augenblick des Unfalls wieder klar und deutlich vor sich.
Nein, er hatte nicht vollkommen vergessen, dass er auf einem Pferd saß. Er hatte es nur teilweise vergessen und lediglich zwei Bewegungen auf einmal gemacht. Den linken Fuß aus dem Steigbügel gezogen und das Bein angehoben, um es über den Sattel zu schwingen, doch gleichzeitig den rechten Fuß bewegt, um einen Schritt vorwärts zu machen, als steckte der Fuß nicht im Steigbügel. Er ist sicher, dass es genau so gewesen ist.
Ebenso sicher ist er, dass er gesehen hat, wie die kostbare Münze aus Cosimos Hand zu Boden fiel, als dieser einen Satz nach vorn machte, um ihm zu helfen.
Ob er sie wiedergefunden hat? Ob er sie an sich genommen hat? Oder hat er sie dort liegenlassen, ihren unermesslichen Wert nicht ahnend?
Ist das einzige Exemplar der «kleinen Akragas», wie jene Gelehrten sie nennen, die vermuten, dass sie existiert, wovon er sich soeben überzeugen konnte, womöglich dazu bestimmt, erneut und für immer zu verschwinden?
Doktor Gibilaro verbringt lange Tage bangen Wartens im Krankenhaus. Zwischen Weihnachten und Neujahr regnet es ununterbrochen in Strömen.
Und den Doktor suchen im wachen Zustand Alpträume heim. Er sieht, wie die winzige Münze, die weniger wiegt als ein Steinchen, von einem kleinen Rinnsal erfasst wird, das sich am Rand des Feldwegs gebildet hat, weil die harte, feste Erde am Sperone das Regenwasser nicht aufnehmen kann. Und als das Rinnsal allmählich breiter wird, siehe, da schwimmt auch die Münze schneller, wird von der Strömung mitgerissen, bis ein Loch, das sich im Erdreich aufgetan hat, sie verschluckt.
Und als es endlich zu regnen aufhört und die Sonne wieder scheint, sieht der Doktor die Münze nicht mehr in dem Loch, aber er weiß, dass sie dort auf dem Grund liegt, bedeckt vom Schlamm, der unter der Sonne zu trocknen beginnt und hart wird, um die Münze weitere Jahrtausende lang zu verstecken.
In diesen Tagen erzwungener Bettlägerigkeit hat sein Wesen sich verändert. Er ist nervös und reizbar geworden. Fortwährend streitet er mit ’Ndondò, die in Girgenti geblieben ist, um ihn pflegen zu können. Auch Michele hat seinen Urlaub verlängert, um ihm zur Seite zu stehen. An manchen Tagen möchte der Doktor sich seinem Sohn anvertrauen, ihm alles erzählen, ihn vielleicht sogar auf die Suche nach Cosimo schicken, um zu erfahren, ob er die Münze noch hat.
Doch im letzten Moment hält ihn etwas zurück.
Er findet keine vernünftige Erklärung dafür. Will er das Geheimnis der Entdeckung noch für sich behalten, obwohl es ihn jeden Tag diese Zweifelsqualen kostet?
Als er endlich mit Hilfe von Krücken wieder gehen kann, packt ihn eine Art motorisches Delirium. Er kann nicht in seinem Zimmer bleiben, ständig muss er den langen Flur auf und ab gehen, sogar nachts, wenn er die anderen Patienten stört. Die Krankenhausleitung beeilt sich, ihn nach Vigata zurückzuschicken und der Pflege von Doktor Giacomo Pegoraro anzuvertrauen, der Gibilaro während seines Krankenhausaufenthaltes im Ort vertreten hat.
Am Tag seiner Heimkehr stattet der Kollege Pegoraro ihm nachmittags einen Besuch ab, sowohl um ihn zu untersuchen, als auch um ihm von seinen Patienten zu berichten. Ein sympathischer junger Mann, er hat erst vor wenigen Jahren sein Studium abgeschlossen.
«Als erstes muss ich dir mitteilen, dass Amalia Cusumano gestorben ist.» Das hat der Doktor erwartet.
«Die Töchter haben ihr ein Begräbnis erster Klasse bereitet», fährt Pegoraro fort.
Und auch das hat er in gewisser Weise erwartet.
«Sag mal, ist dir bekannt, ob es in unserer Gegend Fälle von Schlafkrankheit gibt?», fragt der Kollege.
«Soviel ich weiß, nein.»
«Nun, dann höre hiermit, dass Tallarita sie bekommen hat. Er hat seine üppige Sammlung einmal mehr bereichert!»
Apropos Sammlung…
«Ist dir zufällig ein hinkender Feldarbeiter mit Namen Cosimo Cammarota begegnet?»
Die Frage ist ihm herausgerutscht, bevor er sie zurückhalten konnte. «Nein», antwortet Pegoraro. «Warum?»
Gibilaro brummt etwas Unverständliches.
Nach drei Tagen wirft er die Krücke weg und ersetzt sie durch einen Stock. Dann wirft er auch den Stock
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