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Die Mütter-Mafia

Titel: Die Mütter-Mafia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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wohl, dass wir die S-Bahn nehmen mussten.
    Ich griff fester nach Julius' Hand und bahnte mir einen Weg durch das Getümmel. Auf dem Weg von Gleis fünf nach Gleis elf sahen wir nur wenige Menschen, die nicht verkleidet und/ oder betrunken waren, und selbst eine Gruppe Japaner - echte, unverkleidete Japaner - schien von dem Treiben völlig eingeschüchtert zu sein. Eng aneinander gedrängt schauten sie sich verunsichert um, und nicht einer von ihnen fotografierte.
    »Mir ist schlecht«, sagte Julius.
    Alarmiert ließ ich den Koffer fallen und schubste einen langhaarigen Vampir vom nächsten Abfallbehälter. Ich musste Julius hochheben, damit er in die Öffnung spucken konnte, und der Vampir machte mich zu spät darauf aufmerksam, dass es sich hier nicht um Restmüll, sondern um Papiermüll handelte. Aber an einem Tag wie heute, an dem halb Köln in die Papierkörbe reiherte, konnte er mir damit kein schlechtes Gewissen machen.
    Neben dem Vampir lungerte ein vermutlich männliches Wesen mit einer Gerhard-Schröder-Maske herum, das, dem strengen Geruch nach zu urteilen, schrecklich unter dem Latex zu schwitzen schien.
    »Wülste 'n Bier mit uns trinken kommen?«, fragte er mich.
    Julius spuckte. Offenbar war immer noch genug »Hohes C« in seinem Magen gewesen.
    »Is ja ekelhaft«, sagte der Vampir. »Ist das deiner?«
    »Kleine Kinder haben es nun mal mit dem Magen«, sagte ich, ganz wie Frau Meyer mit Y und streichelte Julius über den Kopf »Des muss uns net peinlisch sein. Da müsse mer dorsch.«
    »Iiiih, 'ne Hessensau«, sagte Gerhard Schröder. »Und mit der wollte ich ein Bier trinken.«
    »Trotzdem, geiler Arsch«, sagte der Vampir.
    »Helau«, sagte ich. Langsam machte ich mir Sorgen. Möglicherweise hatte Julius doch nicht nur meine Reaktion auf Rückwärtsfahrten und Salamigeruch geerbt, sondern einen Magen-Darm-Infekt erwischt. Er gehörte sicherheitshalber mit einer Vomex ins Bett.
    Ich studierte den Fahrplan. In sieben Minuten kam unsere S-Bahn, das war zu überleben.
    Ein Rentner mit einem gelb getupften Hütchen auf der Glatze rempelte mir seinen Ellenbogen in die Rippen und sagte unfreundlich: »Gleis 10, Giesela, und damit basta! Wie oft willst du denn noch nachgucken?«
    Mittlerweile war meine Stimmung auch ziemlich gereizt.
    Ich rempelte dem Renter meinerseits den Ellenbogen in den Bierbauch und erwiderte: »Auch wenn du mir die Rippen brichst, Karl-Heinz, ich nehme den Zug von Gleis 11.«
    Der Rentner starrte mich verwundert an. Ich kannte ihn nicht, wusste aber gleich, dass er zu der Sorte alter Männer gehörte, die sich nie entschuldigen und vorm Supermarkt auf dem Mutter-Kind-Parkplatz parken. Hinter ihm stand eine sehr dicke, kleine Frau um die siebzig, verkleidet mit einer Lamettaperücke und einer pinkfarbenen Herz-Brille. Giesela, wie ich annahm.
    »Hier bin ich, Heinrich«, sagte sie mit hoher Fistelstimme und klopfte dem Rentner auf die Schulter. Heinrich. Da hatte ich mit Karl-Heinz ja gar nicht so falsch gelegen.
    Heinrich schaute eine Weile zwischen mir und Lametta-Giesela hin und her und kratzte sich an seinem jecken Hütchen. Dann sagte er: »Isch hab euch eben verwechselt, dat kann ja mal passieren, oder nit?«
    Oder nit???
    Ich schaute mir Giesela genau an und hoffte sehr, dass Heinrich den grauen Star hatte, und zwar in weit fortgeschrittenem Stadium.
    Die S-Bahn fuhr ein und öffnete seufzend ihre Türen. »Mir ist schlecht«, sagte Julius. Leider konnte Heinrich nicht mehr rechtzeitig beiseite springen. »Dat kann ja mal passieren«, sagte ich.
    *
    Wir wohnten im ersten Stock eines raffiniert sanierten Altbaus. Niemand, der von außen zu den Fenstern hochsah, konnte vermuten, dass hier eine Wohnung mit den Ausmaßen eines Fußballfeldes Platz hatte. Lorenz und ich hatten die Wohnung gekauft, als Lorenz vor zehn Jahren zum Staatsanwalt berufen worden war. Das heißt, Lorenz hatte sie gekauft, ich war nur mit eingezogen.
    Lorenz war sieben Jahre älter als ich. Als wir uns kennengelernt hatten, war ich gerade mal zwanzig gewesen, im zweiten Semester meines Psychologie-Studiums und immer noch völlig verloren in der großen Stadt. Vor allem das Straßenbahn- und U-Bahnnetz war mir nicht geheuer. Seit ich auf dem Weg zu der Lerngruppe bei einer Kommilitonin, die nur zwei Bahnstationen entfernt wohnte, verloren gegangen und ohne Brieftasche in einem geheimnisvollen Ort namens Zülpich-Ülpenich gelandet war, fuhr ich nur noch mit dem Fahrrad, egal wie weit es auch sein mochte. Im

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