Die Muse des Mörders (German Edition)
gespenstisch auf Madeleine. Gerade deswegen hatte sie beschlossen, mit ihrer Durchsuchung in der Werkstatt zu beginnen.
Sie fasste sich ein Herz und zog den Schlüsselbund hervor, den sie aus Maries Tasche genommen hatte. Es gab nur einen Schlüssel, der zur Tür der Goldschmiede passte. Madeleine sah sich um, dann schloss sie die Tür auf und schob sich in den dahinterliegenden Raum. Ein fauliger Geruch schlug ihr entgegen. Durch die kleinen Fenster fiel nur wenig Tageslicht in den Raum, doch es reichte aus, um zu erkennen, dass die Reinigungsleute hier drinnen nicht so sorgfältig gewesen waren. Der Blutfleck auf dem Boden war noch deutlich zu erkennen und darin die Abdrücke des toten Körpers. Madeleine zwang sich, den Blick davon zu lösen, und sah sich um. Auf den ersten Blick herrschte ein heilloses Durcheinander. Alle Arbeitsflächen und Regale waren bedeckt mit Werkzeugen, Geräten und Flaschen mit Chemikalien. Neben einem Wandschrank standen eine Walze und etwas, das Madeleine nicht erkannte. Sie wandte sich dem Arbeitsplatz des Goldschmieds zu, einem klapprigen Schreibtischstuhl mit Rollen, der vor einer Ausbuchtung an der Arbeitsplatte stand. Sie stellte sich vor, wie er hier stunden- und tagelang verbissen versucht hatte, sich selbst zu übertreffen.
Madeleine schüttelte die Befangenheit ab, die jeder Gedanke an Kardos in ihr auslöste und machte sich daran, die Schubladen zu durchsuchen, die sich links und rechts von der Ausbuchtung befanden. Sie fand ungefähr hundert Dinge, die ihr überhaupt nichts sagten, die aber auch nicht darauf hindeuteten, dass Kardos etwas anderes als ein begabter Goldschmied gewesen war. Als sie entdeckte, dass eine der Schubladen mit einem Schloss versehen war, machte sich neuer Optimismus in ihr breit. Vielleicht würde sie darin einen Beweis für seine Untaten finden. Sie probierte Maries Schlüssel aus und einer davon passte.
Diese Tatsache war ernüchternd, denn sein mörderisches Geheimnis hätte er wohl kaum mit seiner Tochter geteilt. Sie zog die Schublade auf und fand anstatt der erhofften Indizien nur Verträge, Rechnungen und ein kleines Notizbuch, das sich als Kundenregister entpuppte. Fein säuberlich hatte der Goldschmied darin notiert, wer wann was gekauft hatte. Sie schob die Schublade wieder zu, drehte sich um und lehnte sich gegen die massive Werkbank. Was hatte sie erwartet? Das Geständnis eines Serienmörders in einem Umschlag mit ihrem Namen darauf? Es würde ihr nicht erspart bleiben, in die Privaträume des Toten einzudringen.
Sie richtete sich auf, als sie draußen Schritte hörte. Zuerst beruhigte sie sich damit, dass das nur ein normaler Passant sein konnte, doch dann hörte sie, wie die Schritte immer näher kamen. Schnell sah sie sich um. Es gab hier nur eine einzige Möglichkeit, sich zu verstecken. Sie hastete, so schnell es ihre Beine zuließen, zu dem Wandschrank, öffnete eine der Türen und verbarg sich zwischen einem Staubsauger und einem Dampfstrahler. Sie schloss die Tür und saß in vollkommener Schwärze. Da hörte sie, wie jemand eintrat und mit schnellen Schritten in der Werkstatt umherlief, offenbar auf der Suche nach etwas. Vorsichtig, um ja kein Geräusch zu verursachen, öffnete sie die Schranktür einen Spalt.
Zuerst sah sie nur die Schulter eines dunkel gekleideten Mannes, der sich an den Schubladen zu schaffen machte, dann trat der Mann ein Stück nach links in ihr Blickfeld und sie erschrak. Es war Dominik Greve, der Polizist. Sie konnte nur hoffen, dass er sich nicht über die unverschlossene Tür der Werkstatt wunderte und auf die Idee kam, dass vielleicht jemand eingebrochen war. Madeleine hielt die Luft an und beobachtete, wie Greve das kleine Büchlein, welches sie als Kundenkartei erkannt hatte, aus der Schublade zog.
Der Polizist blätterte es kurz durch und ließ es in der Innentasche seines Jacketts verschwinden, dann verließ er die Werkstatt so schnell, wie er gekommen war. Erleichtert atmete Madeleine aus. Sie wartete, bis die Schritte des Inspektors verklungen waren, dann trat sie aus dem Schrank und richtete sich auf. Sein unerwartetes Auftauchen hatte ihr einen Schrecken eingejagt und ein wenig wunderte sie sich auch darüber. Anscheinend ermittelte die Polizei immer noch in dem Fall, was bedeuten musste, dass an Olivers Schuld gezweifelt wurde. Immerhin. Madeleine blickte sich ein letztes Mal in dem düsteren Atelier um, dann verließ auch sie den kleinen Raum und schloss nicht hinter sich ab.
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