Die Muse des Mörders (German Edition)
anscheinend für einen Mann gemacht war. Darin eingefasst war ein Saphir, ähnlich dem von Judith. Sie erinnerte sich an Kardos’ aufrichtiges Lächeln, dann sah sie ihn wieder hier unten, seiner wahren Leidenschaft nachgehend.
Ob er während seiner höflichen Worte an dieses Meisterstück gedacht hatte? Mit Recht hatte er den anderen Ring als nichtssagend bezeichnet. Lupenreine Diamanten in Fassungen aus Weißgold umgaben den Saphir kreisförmig, wie gefrorene Tränen. Madeleine erschauerte. Wie sehr von Gier getrieben musste ein Mann sein, der sich nicht damit zufriedengeben konnte, etwas so Schönes geschaffen zu haben?
Sie wollte das hier hinter sich bringen, wollte fort aus dem Keller des Psychopathen und öffnete die nächsten zwei Kästchen. Nun funkelten vier perfekte Kunstwerke um die Wette, eines schöner und dramatischer als das andere. Madeleine starrte sie an und konnte sich vorstellen, wie er sie gesehen hatte. Neben ihr schnäuzte sich Lucy und brach so den Bann. Tränen rannen über ihre Wangen.
»Das kann doch nicht sein. Jemand, der etwas so Schönes erschaffen konnte, kann unmöglich ein solches Monster sein.«
Madeleine schluckte und schüttelte den Kopf. Sie brauchte einen Moment, um die Fassung zurückzuerlangen, dann schlug sie ein Kästchen nach dem anderen zu und sah so etwas wie Bedauern in Lucys Augen.
»Was wird damit passieren?«
»Wir nehmen sie mit.« Madeleine sah eine gefährliche Hoffnung in Lucys Augen, warf ihr einen mahnenden Blick zu und fügte hinzu. »Wir nehmen den Schmuck mit, überlegen uns etwas und geben ihn für einen guten Zweck wieder ab. Jetzt nichts wie raus hier.«
81.
»Sofie Hafner. Vielleicht ist sie das.«
Madeleine saß am Krankenbett der schlafenden Marie und hörte durch ihr Handy, wie Lucy auf die Tasten ihres Computers einhackte.
»Laut Telefonbuch wohnt sie in der Lederergasse. Hausnummer 19.«
»Nein, ich glaube nicht, dass sie in Wien lebt.« Madeleine blickte nachdenklich auf das blasse Mädchen. »Dann hätte sie doch Kontakt zu Marie aufgenommen. Andererseits …«
»Was?« Wieder hörte sie ihr Hausmädchen, das sich in letzter Zeit gleichermaßen zu ihrer Beschützerin, Assistentin und Sekretärin entwickelte, etwas in die Tastatur tippen.
»Wer weiß, wie stark der Einfluss ihres Vaters war.«
Einen Moment lang sagte Lucy gar nichts, dann atmete sie tief durch.
»Ich habe hier eine Suchanzeige von ihr.«
Madeleine schloss die Augen.
»Sag nicht, sie wird vermisst.«
»Nein, nein«, sagte Lucy. »Sie hat eine Wohnung in Wien gesucht. Vor ungefähr einem Jahr. Suche günstige Einzimmerwohnung oder WG-Zimmer, möglichst Nähe Stadtzentrum.«
»Wahrscheinlich hat sie etwas gefunden und wohnt wirklich in der Josefstadt.« Madeleine überlegte kurz. »Ich werde heute noch hinfahren.«
»Ich komme mit.«
»Nein, Lucy. Mir wäre es lieber, wenn du nachher zu Marie fahren könntest.« Die Ärzte hatten immer noch keine Entwarnung gegeben. Es war früher Nachmittag und Marie schlief beinahe ununterbrochen. Es war ein stiller Kampf, den sie für sich und ihr Ungeborenes ausfocht, und auch wenn es eine unruhige Zeit war, wollte Madeleine nicht, dass sie dabei allein war. Sie bat Lucy, sich zu beeilen, und beschloss, so lange hier zu bleiben, bis sie kam.
Sofie Hafner, die Frau mit dem Namen, der in Maries Geburtsurkunde unter »Kindsmutter« vermerkt war, würde hoffentlich nicht erneut verschwinden.
82.
Zum zweiten Mal innerhalb von zwei Tagen kam Madeleine in die Josefstadt, diesmal allerdings mit der Straßenbahn. In der Lederergasse waren Geschäfte aufgereiht wie auf einer Perlenkette. Von einem mulmigen Gefühl erfüllt, bahnte Madeleine sich einen Weg durch die Fußgänger und blieb schließlich vor dem Haus mit der Nummer 19 stehen. Auf vielen der Klingelschilder prangten lange und komplizierte ausländische Namen, sodass das mit blauer Tinte geschriebene »Hafner« dazwischen verloren wirkte.
Ohne zu zögern, drückte sie auf den abgegriffenen Klingelknopf. Zuerst geschah gar nichts, dann wurde doch aufgedrückt. Madeleine stemmte sich gegen die Tür und trat ein. Im Hausflur war es angenehm kühl, doch die verschiedensten Gerüche, die aus den Wohnungen drangen, machten die Luft dick und schwer.
Mühsam erklomm sie die drei Treppenabsätze, bis sie vor sich endlich eine Tür erblickte, die einen Spalt weit offen stand. Als sie nach Luft ringend näherkam, wurde die Tür langsam weiter
Weitere Kostenlose Bücher