Die Mutter aller Stürme
Wachen und
Schlafen. Sie liegt auf einem schmuddeligen Wasserbett im
Mendana-Hotel, das angeblich dem Standard auf Honiara entsprechen
soll, aber ihr vor kurzem aktualisiertes Datenmodul (dessen
Implantation sie einem Geheimfonds der amerikanischen Regierung
verdankt) ist mit einem der zwanzig aktiven Universalmodems der
neuesten Generation verbunden, die auf der gesamten Insel Guadalcanal
vorhanden sind.
Sie surft verschlafen durch das große Netz und stellt
Verknüpfungen her.
Wenn sie selbst für diese Aktion aufkommen müßte,
wäre das mit astronomischen Kosten verbunden. Aber sie bekommt
es gratis – auch ein Geschenk von Onkel Sam, der sie dieser Tage
wie eine Lieblingsnichte behandelt. Sie hat sich schon lange
gewünscht, in einem solchen Zustand uneingeschränkten
Datenzugriff zu haben, denn die besten Ideen kommen ihr immer an der
Grenze zum Schlaf. Also befindet sie sich in einer Art Wachtraum, als
sie die globalen Datenbanken durchforstet und die Größe
von ›Clem‹ ermittelt. Sie überlegt, wie groß ein
Objekt sein muß, um den erforderlichen Schatten zu erzeugen,
und ob Kliegs Plan nach den Vorstellungen seines
›Experten‹-Teams überhaupt zu verwirklichen ist.
Das Problem ist, daß sich insgesamt nicht einmal dreitausend
Meteorologen mit der Erstellung globaler Wetterberichte und
Klimamodelle befassen, und von denen sind nur zwei bei Klieg
beschäftigt. Und keiner von beiden verfügt auch nur
über die geringste wissenschaftliche Reputation. Aber Kliegs
Team wird nicht allein dadurch schon entwertet, daß es nicht
mit Spezialisten besetzt ist. Und ihr Vorschlag – das Wasser in
einem breiten Streifen des Pazifik auf zwanzig Grad abzukühlen,
so daß ›Clem‹ und alle seine Nachfolger sich dort
totlaufen, anstatt noch Wochen oder gar Monate weiterzuwüten
– ist auch nicht das Problem. Wenn der Wasserstreifen breit und
kalt genug ist, wird es funktionieren.
Das Problem ist vielmehr, wie die anderen Aspekte sich entwickeln;
werden sich eventuell weitere Probleme daraus ergeben? Und wird die
von Klieg avisierte Dienstleistung ihren Preis auch wert sein?
Carla dreht sich im Schlaf um. Dieser Gedanke verursacht
ihr Unbehagen.
Es gibt keine andere Bezeichnung dafür – Klieg ist ein
Erpresser, oder zumindest versucht er die UN zu erpressen, ihm ein
Monopol auf Raketenstarts einzuräumen und eine weltweit
führende Position in diesem Geschäftsfeld zu verschaffen.
Damit wäre er praktisch der ›Herr des Universums‹.
Sie wälzt sich unruhig herum; wenn ein Benutzer den
Überblick über das ganze Netz hätte, würde er das
seltsame Phänomen ultrakurzer, mikrosekundenlanger
Unterbrechungen bemerken, die sich über Milliarden Prozessoren
fortpflanzen. Carla bemerkt das jedoch nicht; sie hat das Potential
der unentgeltlichen Nutzung des Netzes noch gar nicht in voller
Tragweite erfaßt.
Das ist im Grunde nicht ihr Aufgabengebiet, aber eine
Ähnlichkeit ist zumindest gegeben; also sträubt sie sich
nicht länger gegen das Problem und spielt alle Varianten durch,
wobei sie keine Klimamodelle, sondern Zukunftsentwürfe
konzipiert. Sie gleitet ins Jahr 2050; die globalen Rahmendaten
gewinnen an Kontur, und…
Sie taucht in die Simulation ein. Sie steht auf dem Times Square
und betrachtet ein riesiges Porträt von Klieg. Die Straßen
wirken peinlich sauber… und das öffentliche Leben scheint
gut durchorganisiert zu sein. Sie bemerkt, daß selbst die
Gehwege über ›Laufbahn‹-Markierungen verfügen,
und als sie näher tritt, um eine solche Linie zu betrachten,
kommt ein Polizist auf sie zu. Vor lauter Angst rennt sie
davon…
Die zu Tausenden auftretenden Polizisten tragen alle blaue
Baretts. Und die Schaufenster aller Geschäfte, an denen sie
vorbeiläuft, sind mit einem großen schwarzen ›K‹
markiert, was besagt, daß dieser Betrieb zum Bezug im Weltraum
produzierter Materialien berechtigt ist; und jetzt erkennt sie,
daß Klieg das weltweite Monopol auf die weltraumgestützte
Produktion von Stahl, Glas und Aluminium sowie von Nahrungsmitteln
besitzt…
Die Polizei hat sie fast eingeholt. Die anderen Passanten schauen
geflissentlich weg. Ihre Gesichter sind merkwürdig ausdruckslos
und weisen eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Konterfei von Klieg
an dem Gebäude auf.
Die Menschen sind alle von weißer Hautfarbe.
Beim Erwachen wird sie in das Hotelzimmer auf Guadalcanal
zurückgeschleudert, auf das wabbelnde Wasserbett, und sie tastet
nach dem Modul in ihrem Kopf. Sie entspannt
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