Die Nacht - Del Toro, G: Nacht - Night Eternal (Bd. 3 The Strain Tril.)
ihn davon ab? War der lebende, nicht-verwandelte Zack eine nützliche Waffe gegen Eph und gegen den gesamten Widerstand? Oder gab es noch einen anderen Grund?
All das lastete schwer auf Ephs Schultern. Wenn es um seinen Sohn ging, war er verwundbar. Aber es war eine Schwäche, aus der er zugleich seine Kraft schöpfte: Es war unmöglich für ihn, seinen Sohn loszulassen.
Wo war Zack in diesem Moment? War er eingesperrt? Wurde er gefoltert? Gedanken wie scharfe Klauen, die sich in Ephs Bewusstsein geschlagen hatten … Und so war es das Schlimmste für ihn, nicht zu wissen. Während die anderen – Vasiliy, Nora, Gus – sich mit aller Kraft dem Widerstand gegen die Vampire widmen konnten, musste er immer daran denken, dass sein Sohn eine Geisel in diesem Krieg war.
Wenn er in Zacks Zimmer war, fühlte er sich etwas weniger allein. Heute jedoch hatte dieser Ort den geradezu gegenteiligen Effekt – Eph hatte sich noch nie so allein gefühlt wie in diesem Augenblick.
Wieder musste er an Kellys Exfreund Matt denken – den er in diesem Haus getötet hatte –, daran, wie er sich über Matts Einfluss auf seinen Sohn aufgeregt hatte. Wie lächerlich! Jetzt stand Zack unter dem Einfluss einer ganz anderen Kreatur, eines wirklichen Monsters …
Eph spürte, wie ihn die Traurigkeit übermannte. Er schlug das Notizbuch auf und notierte diese eine Frage, die Frage, die er in all der Zeit immer wieder notiert hatte:
»Wo ist Zack?«
Dann ging er, wie er es oft tat, die Einträge der letzten paar Tage durch. Und blieb an einigen Worten hängen, die offenbar mit Nora in Verbindung standen.
»Gerichtsmedizin« … »Treffen« … »Bei Sonnenlicht«
Eph kniff die Augen zusammen, versuchte sich zu erinnern.
Verdammt!
Ja, das war es: Er hatte sich mit Nora und ihrer Mutter am früheren Hauptsitz der New Yorker Gerichtsmedizin verabredet. In Manhattan. Heute!
Die Silberklingen klirrten, als er nach der Baseballtasche griff und sie sich über die Schulter warf; die Schwertgriffe ragten hinter ihm auf wie lederbezogene Antennen. Dann sah er sich noch einmal im Zimmer um – und aus irgendeinem Grund fiel ihm neben dem CD -Spieler auf der Kommode eine alte Transformers-Figur auf. Ihr Name war Sideswipe, wenn Eph sich recht erinnerte; er hatte sie Zack vor einigen Jahren zum Geburtstag geschenkt. Einer von Sideswipes Armen wies bereits deutliche Abnutzungserscheinungen auf. Eph nahm die Figur in die Hand und drückte daran herum – und dachte daran, wie Zack früher mit scheinbar nie endender Begeisterung Sideswipe von einem Auto zu einem Roboter und wieder zu einem Auto verwandelt hatte, ganz so, als wäre es ein Rubik’s Cube.
»Alles Gute zum Geburtstag, Z«, flüsterte er, steckte die Spielzeugfigur zu den Schwertern in die Tasche und verließ das Zimmer seines Sohnes.
Woodside
Die frühere Kelly Goodweather erreichte ihr früheres Haus in der Kelton Street nur wenige Minuten, nachdem Eph es verlassen hatte. Sie war ihm – diesem Menschen, den sie einmal geliebt hatte – auf der Spur, seit sie vor etwa fünfzehn Stunden das Pulsieren seines Blutes vernommen hatte. Doch dann war mittags der Himmel aufgerissen, und für jene zwei, drei Stunden fahlen, aber für Vampire tödlichen Sonnenlichts hatte sie sich in einem Keller verstecken müssen. Dort hatte sie entscheidende Minuten verloren.
Zwei schwarzäugige Späher begleiteten Kelly – zwei jener Kinder, die damals während der Sonnenfinsternis, die den Beginn der Vampirseuche in New York begleitet hatte, erblindet und darauf vom Meister persönlich verwandelt wor den waren. Trotz des fehlenden Augenlichts nahmen sie al les um sich herum wahr, schärfer und deutlicher als andere Vampire. Wie hungrige Spinnen liefen sie auf allen Vieren neben Kelly her.
Normalerweise hätte Kellys vampirischer Instinkt, der sie zu einst geliebten Menschen trieb, ausgereicht, um Ephs Aufenthaltsort zu bestimmen. Doch der Alkohol und all die anderen Aufputsch- und Beruhigungsmittel, die er regelmäßig konsumierte, beeinflussten sein Nervensystem und die Gehirntätigkeit so sehr, dass sein »Signal« stark abgeschwächt wurde – so wie eine Radioübertragung durch atmosphärische Störungen.
Der Meister aber hatte ein spezielles Interesse an Ephraim Goodweather; vor allem wollte er wissen, wie und wohin sich Eph innerhalb der Stadt bewegte. Deshalb hatte er Kelly die beiden Späher mitgegeben – früher Bruder und Schwester, waren sie jetzt nicht mehr auseinander zu halten,
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