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Die Nacht der Wölfin

Die Nacht der Wölfin

Titel: Die Nacht der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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Dreierparkplatz, der weit hinten in eine schmale Lücke zwischen zwei Gebäuden gequetscht ist. Er hält sich ein Funkgerät ans Ohr und lehnt dabei mit einem Ellenbogen an einer Ziegelmauer, lässig, aber nicht wie ein Mann, der sich ausruht. Die Schulterhaltung ist entspannt. Sein Blick geht ins Leere. Er ist voller Selbstvertrauen, er glaubt daran, dass er jedes Recht hat, hier zu sein, und dass er von der Nacht nichts zu befürchten hat. Der Revolver, der an seinem Gürtel hängt, hilft wahrscheinlich. Er hört auf zu reden, drückt auf einen Knopf und schiebt das Gerät wieder in sein Futteral. Seine Augen gehen einmal über den Parkplatz hin, machen Inventur und finden nichts, was seine besondere Aufmerksamkeit erfordert. Dann macht er sich auf den Weg – tiefer hinein in das Gewirr von Gassen und Durchgängen. Dies könnte unterhaltsam werden. Ich folge ihm.
    Meine Klauen klicken auf den Pflastersteinen. Er merkt es nicht. Ich lege etwas zu, schieße um Müllsäcke und leere Kartons herum. Schließlich bin ich ihm nahe genug. Er hört das gleichmäßige Klicken hinter sich und bleibt stehen. Ich verstecke mich hinter einem Müllcontainer und schaue vorsichtig um die Ecke. Er dreht sich um und späht in die Dunkelheit. Nach einer kurzen Pause geht er weiter. Ich lasse ihm ein paar Schritte Vorsprung, bevor ich die Verfolgung wieder aufnehme. Als er sich diesmal umdreht, warte ich eine Sekunde länger, bevor ich in Deckung gehe. Er stößt einen gedämpften Fluch aus. Er hat etwas gesehen – eine plötzliche Bewegung, einen davonschießenden Schatten, irgendetwas. Seine rechte Hand gleitet zu der Waffe, streicht über das Metall und zieht sich zurück, als sei ihr Vorhandensein ihm Gewissheit genug. Er zögert, sieht in beiden Richtungen die Gasse entlang; ihm wird klar, dass er allein ist, und er weiß nicht genau, was er jetzt tun soll. Er murmelt etwas und geht weiter, etwas schneller diesmal.
    Im Gehen blickt er immer wieder von einer Seite zur anderen – Wachsamkeit an der Schwelle zur Beunruhigung. Ich atme tief ein und fange nur flüchtige Spuren von Furcht auf, genug, um mein Herz hämmern zu machen, aber nicht genug, um die Erregung bis zu einem Punkt zu steigern, wo es keine Kontrolle mehr gibt. Für ein Beschattungsspiel ist er eine verlässliche Beute. Er wird nicht rennen. Ich kann die meisten meiner Instinkte unterdrücken. Ich kann ihn beschatten, ohne ihn zu töten. Ich kann die ersten Stiche des Hungers ertragen, ohne ihn zu töten. Ich kann zusehen, wie er die Waffe zieht, ohne ihn zu töten. Aber wenn er zu rennen beginnt, werde ich mich nicht mehr beherrschen können. Das ist eine Versuchung, der ich nicht widerstehen kann. Wenn er rennt, werde ich ihn jagen. Wenn ich jage, wird entweder er mich töten oder ich werde ihn töten.
    Als er um die Ecke in eine andere Gasse einbiegt, entspannt er sich. Hinter ihm ist alles still geblieben. Ich schleiche mich aus meinem Versteck, verlagere mein Gewicht auf den hinteren Teil der Fußballen, um das Geräusch der Klauen zu dämpfen. Bald bin ich nur noch ein paar Schritte hinter ihm. Ich kann sein Rasierwasser riechen; es überdeckt beinahe den natürlichen Geruch eines langen Arbeitstages. Ich kann die weißen Socken zwischen seinen Schuhen und dem Saum der Hosenbeine aufblitzen und wieder verschwinden sehen. Ich kann seine Atemzüge hören, die etwas kürzeren Abstände verraten mir, dass er schneller geht als üblich. Ich schiebe mich weiter vor und komme ihm so nahe, dass ich springen könnte, wenn ich wollte, und ihn zu Boden schleudern, bevor er auch nur daran denken könnte, nach der Waffe zu greifen. Sein Kopf fährt hoch. Er weiß, dass ich da bin. Er weiß, dass etwas da ist. Ich frage mich, ob er sich umdrehen wird. Wagt er es, sich umzusehen, etwas entgegenzutreten, das er weder sehen noch hören, sondern nur spüren kann? Seine Hand gleitet wieder zu der Waffe, aber er dreht sich nicht um. Er geht schneller. Dann biegt er erneut ab in die Sicherheit der Straße.
    Ich folge ihm bis zum Ende der Gasse und beobachte aus der Dunkelheit heraus. Er geht mit langen Schritten, die Schlüssel in der Hand, zu einem geparkten Wagen, schließt ihn auf und springt hinein. Der Motor heult auf, und das Auto löst sich mit kreischenden Reifen vom Bordstein. Ich sehe den verschwindenden Rücklichtern nach und seufze. Spiel vorbei. Ich habe gewonnen.
    Das hat Spaß gemacht, aber es war bei weitem nicht genug, um mich zufrieden zu stellen. Diese

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