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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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geschürt hatten. Zudem war es im Treppenhaus noch zu dunkel, um ein Zwinkern sicher zu erkennen, trotz der beiden Kerzen in dem Leuchter, den ihre Mutter aus der Schlafkammer mitgebracht hatte und nun die Treppe hinuntertrug.
    Molly atmete einmal tief durch, dann eilte auch sie hinunter, das Klappern der Holzpantinen war ihr ein beruhigend vertrautes Geräusch. Es hatte sich wirklich alles zum Guten gewendet, sie musste nur noch Acht geben, dass es so blieb.
    In der Küche war es wohlig warm. Elwa stand am Feuer, die Ärmel ihrer groben blauen Bluse hochgekrempelt, das weißblonde Haar wie immer unter einer Haube verborgen, die Schürze schon bekleckert, und rührte in dem großen Topf den Morgenbrei. Sie nickte Molly mürrisch zu, grummelte, sie solle nicht im Weg rumstehen. So spät aus den Federn, es sei eine Schande, früher …
    Molly küsste die Hausmagd amüsiert auf die hitzegerötete Wange, und Elwa schnaufte mit der ihr eigenen Mischung aus Missbilligung und Zufriedenheit. Sie füllte eine Schale mit der dampfenden Buchweizengrütze – die mochte Molly besonders gern, auch weil Elwa sie stets mit einer Handvoll aus der Backstube stibitzten Rosinen und einer Prise Zimt verrührte –, gab sie der Tochter des Hauses und wandte sich wieder dem Feuer und dem Kessel zu.
    Ja, alles war gut, alles war wie immer. Molly setzte sich zu den anderen an den Tisch. Vielleicht hatte sie Elwa und ihre Nörgelei am meisten vermisst, als sie für einige Monate im Haus der Kaufmannsfamilie Herrmanns die Köchin vertreten hatte. Wenn sich alles änderte – Elwa blieb sich gleich. Die liebe alte Elwa. Sie war nicht steinalt, vielleicht ein halbes Jahrzehnt älter als die Meisterin, aber sie gehörte schon so lange zum Haus, wie Molly zurückdenken konnte.
    Wie stets hatte Bruno Hofmann am Kopf des Tisches Platz genommen. Mit seinem kantigen Gesicht, den je nach Stimmung in Grau oder Umbra changierenden Augen, dem vollen dunklen Haar, den geschwungenen Lippen, die seiner Miene häufig etwas amüsiert Spöttisches gaben, war er ein schöner Mann. Er war schlank, hatte breite Schultern und kräftige Arme, selbst in der für einen Mann sonst wenig kleidsamen Arbeitskluft wirkte er anziehend. Viele hatte es geärgert, aber niemand konnte es wirklich gewundert haben, als Magda Runge nach dem Tod ihres Mannes diesen Konditor aus dem nahen Bergedorf erhörte, anstatt Ludwig Prahm, den ältlichen Gesellen, wie es dem Brauch eher entsprochen hätte.
    Erhörte mochte wohl das richtige Wort sein, hatte die Weißwäscherin vom Grasskeller spöttisch geseufzt, wer so blind vor Verliebtheit sei, vor Liebe gar, dem bleibe nur das Hören. Was die Frau des zweiten Gesellen vom Küterhaus an der Kleinen Alster wiederum bezweifelte. Alle Tage so was Appetitliches wie den Hofmann in der Schlafkammer lasse sich doch keine gern entgehen, erst recht nicht, wenn sie schon in dem Alter sei, in dem Alter – na, das sei nicht weiter zu erklären. Könne ja jeder sehen.
    Molly hatte den Klatsch gehört. Alle hatten das, aber eine Meisterwitwe konnte sich aussuchen, wer unter den geeigneten Bewerbern mit ihrer Hand auch das begehrte Meisteramt bekam. Oft genug war es umgekehrt, das wusste jeder, dann stieg der Geselle nur um den Preis der Ehe mit einer Witwe zum Meister auf. Nichts im Leben ist umsonst, und solange die Ämter strikt über die begrenzte Zahl der Meister wachten, war es für die meisten Gesellen die einzige Chance, je Meister zu werden. Niemand konnte behaupten, diese Ehen seien schlechter als andere. Eine solche Gemeinschaft diente dem guten Zweck und war nicht zum Vergnügen da. Jedenfalls nicht nur.
    Bruno Hofmann allerdings hatte um Magda Runge geworben wie um eine junge Braut, sie betört wie ein Jüngling ein Mädchen. Viele Frauen hatten sie heimlich beneidet.
    Nun nahm er eine Scheibe des feinen Roggenbrotes aus dem Korb in der Mitte des Tisches, bestrich es großzügig mit Butter und blickte, bevor er abbiss, in die Runde. «Wir alle haben schon unser Morgengebet gesprochen», erklärte er, «jeder für sich. Auf ein gemeinsames können wir jetzt verzichten. Also esst ohne Trödelei, wir haben heute viel zu schaffen.»
    Ob gehorsam oder nur hungrig, Ludwig, der Geselle, und Sven, der Lehrjunge, tauchten umgehend die Löffel in ihre Schalen.
    Molly sah Ludwigs Blick dabei über Butterteller und Konfitüreschüssel gleiten. Es war ein ausdrucksloser Blick, aber sie wusste, was er dachte: Butter an einem ganz normalen

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