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Die Nacht des Ta-Urt (German Edition)

Die Nacht des Ta-Urt (German Edition)

Titel: Die Nacht des Ta-Urt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Bödeker
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gesehen. Völlig unmöglich, wehrte sich der rationale Bestandteil ihres Bewußtseins , das muss etwas ganz anderes in einem Alptraum gewesen sein, den sie verdrängt hatte und der sich jetzt, da sie diese Karte sah, wieder ins Gedächtnis brachte.
    Die Bildunterschrift lautete "Typhon".
    Elaine bückte sich und steckte die Karte ein.
    Sie stand auf und ging in den Flur. Vor der geschlossenen Schlafzimmertür blieb sie kurz stehen und überlegte, ob sie klopfen sollte, hatte aber nicht die rechte Lust jemanden zu trösten, der so offensichtlich verstockt war wie ihre Nachbarin.
    Sie verließ die Wohnung.

 
    ***

 
    In den folgenden Wochen nach ihrer Begegnung im Park sahen sich Elaine und Eckhardt öfter. Und trotz einer bleibenden leichten Abneigung gegen den seltsamen Mann sah Elaine jedem weiteren Treffen mit wachsender Neugierde entgegen. Sie hatte das Gefühl, dass ihre neue Bekanntschaft ihrer persönlichen Entwicklung entgegenkam. Also wollte sie auf keinen Fall auf ihren seltsamen Lehrer verzichten.
    Sie gingen spazieren und Eckhardt zeigte ihr Orte, die sie früher nie bemerkt hatte und die alle irgendeine geheime Bedeutung zu haben schienen. Eckhardt wusste alles über die Geschichte der Stadt, was irgendwie mit unheimlichen oder seltsamen Begebenheiten zusammenhing, und seine Schilderungen besaßen eine Kraft, die ihr das Gefühl gaben, als lüfte sich der Schleier der Gegenwart, um eine längst vergangene, aber reale Welt freizugeben.
    Mitten auf einem Parkplatz im Herzen der Stadt war vor hunderten von Jahren ein Brunnen gewesen, an dem die Bewohner an Markttagen ihr Wasser holten. Der Brunnen war 1853 mit Steinen zugeschüttet worden, als mehrere Kinder der näheren Umgebung unter merkwürdigen Umständen verschwanden. Zwar hatte man auch nach eingehenden Untersuchungen nichts finden können, aber die Anwohner des Marktplatzes hatten in gewissen Vollmondnächten die verschwundenen Kinder aus dem Brunnen heraus rufen hören, und so war er nicht mehr benutzt und schließlich geschlossen worden. Heute zeugte nur noch eine unauffällige Eisenplatte von dem tiefen Schacht, der sich unter dem Parkplatz verbarg.
    An anderer Stelle, neben einer Kirche in der Altstadt, war ein kleines, aus schweren Steinen gemauertes Haus, in dem sich heute eine Boutique befand. Das war früher das Pesthaus gewesen, in dem die Kranken von der Umwelt isoliert und häufig ihrem Schicksal überlassen wurden.
    Und ganz nah am Stadtkern, wo sich heute ein kleiner Park an ein Verwaltungsgebäude anschloß , hatten früher die Hexen gebrannt. Dieser Platz hatte ihr, als sie ihn in Eckhardts Begleitung besuchte, eine unerklärliche Furcht eingeflößt, und obwohl sie vorher schon Dutzende von Malen durch den kleinen Park gegangen war, hatte sie nun, da sie ihn in Anwesenheit Eckhardts besuchte, das erste Mal das Gefühl, dass dieser Ort sie etwas anzugehen schien. Vor ihrem inneren Auge loderten die Flammen der Scheiterhaufen, und die Schreie der unschuldigen Opfer schienen in ihren Ohren widerzuhallen. Ihr wurde übel und sie und Eckhardt war plötzlich sehr aufmerksam und fragte sie, was sie hätte. Aber sie wollte sich nicht lächerlich machen und schwieg über ihre Vision. Sie verließen den Park. Erst einige hundert Meter weiter ging es ihr wieder besser.
    Eckhardt schien es zu genießen, eine so gelehrige, aufgeweckte und intelligente Schülerin zu haben, und nach einiger Zeit lud er sie in sein Haus an der Burg ein und machte sie mit Leuten bekannt, die sie auf normalem Wege sicher nicht kennengelernt hätte.
    Da waren echte Spinner, die sich für die Wiedergeburten griechischer Philosophen oder römischer Cäsaren hielten. Ihr jetziges, meist mittelmäßiges Leben, faßten sie als Strafe für ihre damaligen Verbrechen auf, und der Reiz ihrer momentanen Inkarnation bestand offensichtlich gerade in der Größe ihrer einstmals angesammelten Schuld, mit der sie ihre jetzige Mittelmäßigkeit zu kompensieren hofften. Elaine hatte das Gefühl, dass er diese Leute um sich duldete, wie ein Großfürst seine Narren duldete. Um sich zu amüsieren und den Glanz seiner Würde durch den Kontrast ihrer Dummheit zu erhöhen.
    "Das Ziel ihres Karmas", sagte Eckhardt über sie, "ist es nicht, wie Buddha lehrte, dem Rad der Wiedergeburten zu entkommen, sondern sich in der Exklusivität ihrer Vorleben gegenseitig zu überbieten."
    Wenn er so redete, verhärtete sich sein Gesicht zur Maske des Zynikers. Aber im Grunde, so musste sich Elaine

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