Die Nacht des Ta-Urt (German Edition)
irgend etwas , was ihre unerklärliche Unruhe beenden und sie von innen her verändern würde, ein kleines „klick“, dem ein großes …- ja, irgendetwas GROßES folgen könnte. Und wo hätte man besser darauf warten können, auf das tick-tick der Uhr und das kleine „klick“, wo besser als auf einer Sylvesterparty ins neue, dritte Jahrtausend, unter Eingeweihten der Geheimwissenschaften?
Sie drehte das Wasser wieder ab und trocknete sich mit einem Handtuch von der Größe einer Mittelmeerinsel die Hände ab. Jetzt fühlte sie sich wieder einigermaßen fit für eine weitere Runde im Wettbewerb um die erfrischendste Charaktermaske des Abends.
***
In der Mitte der Küche scharten sich die Gäste um eine gigantische Koch- und Arbeitsplatte und bedienten sich von einem ausladenden Büfett. Nicht anders als in allen Gesprächen dieses Abends jagten auch hier die Klischees die Plattitüden, verfolgt von angestrengt amüsierten Gesten und Blicken, alles auf der Suche nach dem Kick, der die Gäste in gruppenschwingende Milleniumslaune versetzen sollte.
Ein paar Minuten musste das alte Jahrtausend noch warten, bis es von einem Haufen Yuppies ins Grab geböllert würde.
Elaine stand allein in einer Ecke und begann sich in ihr Inneres zurückzuziehen, wie sie es immer tat, wenn ihre Umwelt ihr zu anstrengend wurde. Die Stimmen und Gesichter um sie herum flossen langsam wie Wasser ineinander. Braungebrannte Körper, Blendax-Zähne, nackte, goldbereifte Frauenarme, muskulöse Schultern - die Dinge fingen an, ein Eigenleben zu führen. Dieser Arm ruderte bedeutungsvoll in der Luft herum, jener Körper zog an ihr vorbei wie von einer unsichtbaren Schnur gezogen, ihm folgte eine Hand, die auf einer Schulter landete. An der Hand hing ein Arm und dem Arm folgte eine Frau mit weit geöffnetem Mund, die Zähne des Mundes waren von winzigen Speichelbläschen übersät. Eine riesige Zunge zog über die Zähne hinweg und hinterließ weitere Bläschen. Ein fallen gelassenes Glas schwebte zu Boden und verwandelte sich in tausend kleine Scherben, die vom Boden aufsprangen, sich in der Luft drehten und alle dasselbe erschrockene Gesicht spiegelten. Elaine sah das alles deutlicher, als sie es je in ihrem normalen Bewusstseinszustand hätte wahrnehmen können, aber es berührte sie nicht, es war wie ein Film ohne Zuschauer. Sie selbst sank hinab in eine Tagtraumwelt, aus der sie stets erfrischt wieder in die Realität erwachte. Schon als Kind hatte sie gelernt, so die Welt um sich herum vollkommen zu vergessen und abzutauchen in tiefere Schichten ihres Bewusstseins. Gegen die Alltagswelt richtete sie eine Mauer älterer und bedeutungsvollerer Bilder auf, eine Mauer aus sattgrünen Wäldern und schwarzer, feuchter Erde, aus ewig tiefen Himmeln, in denen blaue, rote, gelbe Vögel durch eine von Gerüchen getränkte Luft tauchten, und aus Wassern, in denen Wesen sich bewegten, die noch keines Menschen Mund je beschrieben hatte.
Sie tauchte ab in ihr verlorenes Paradies.
Irgendwo dort unten, dass spürte sie seit neuestem deutlich, reckte jemand die Arme nach ihr und rief ihr etwas zu, was sie nicht verstand.
"Champagner?“
Elaine zuckte zusammen und schreckte aus sich heraus wieder an die Oberfläche, zurück zur Party, zurück ans Ende des Jahrtausends. Neben ihr stand jemand mit einem Glas. Eine dicke, schwarze Andy-Warhol-Brille beugte sich zu ihr herunter. Hinter der Brille versteckte sich ein schmales, von andauernder Langeweile gezeichnetes, aber faszinierend scharf geschnittenes Gesicht. Dünne, blonde Haare fielen auf ein nachlässig getragenes Sakko. Grüne Augen waren so direkt aufs sie gerichtet, als hätten sie an ihrem Tagtraum teilnehmen können.
"Oh, gern ,“ antwortete sie, „ist es schon so weit?“
"Ja, wir haben noch etwa fünf Minuten ,“ sagte das Gesicht. "Ich heiße übrigens Volkmar Eckhardt, meines Zeichens Gastgeber dieses Haufens mittelmäßiger Zauberlehrlinge.“
Mit einem vagen Schlenker seines Glases schloss Volkmar Eckhardt die umstehenden Gäste in seine Bemerkung ein, während Elaine seine schlanken, auffallend weißen Hände betrachtete. Feine blonde Haare reichten bis zu den langen, gepflegten Fingernägeln. Die Fingernägel gaben seinen Händen etwas animalisches, etwas, was sie gleichzeitig anzog und abstieß.
"Da haben Sie aber keine sehr hohe Meinung von denen, denen Sie immerhin ihr Geld verdanken“, sagte sie.
"Tja ,“ sagte Volkmar Eckhardt, "das mag sein, aber Geld ist
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