1171 - Emilys Engelszauber
Nur kurz, abgehackt, aber geirrt hatte sie sich nicht. Jemand musste sich in Not befinden.
Um die Wiese zu erreichen, musste Glenda über einen kleinen Zaun klettern. Er begrenzte das Gelände des Supermarkts, an dessen Rückseite sich Glenda befand. Viel Betrieb herrschte hier nicht. Es standen auch nur wenige Autos in den schwach eingezeichneten Parktaschen. Der Anbau hier diente als Lager.
Glenda vergaß ihren Einkauf. Sie schritt über einen schmalen Betonweg auf den kleinen Zaun zu. Aus dem Lager hörte sie ein heftiges Rumpeln. Der Wind wurde frischer, als sie die Deckung des Anbaus verließ. Er spielte mit dem hellen Stoff des Sommermantels und ließ ihn um Glendas Körper flattern.
Bisher hatte sich der Schrei nicht wiederholt. Auch die Stimmen waren verstummt. Glenda wurde unsicher und fragte sich, ob sie einem Irrtum erlegen war.
Vor dem Zaun blieb sie stehen. Er war nur kniehoch und bestand aus grünem Maschendraht. Ein Hindernis war er nicht. Nur eben eine Abgrenzung, für die sich manche Menschen nicht interessiert hatten, denn über ihn hinweg hatten sie allerlei Abfall auf die Wiese geschleudert. Niemand hatte ihn weggeräumt.
Wäre das Stück Wiese frei gewesen, hätte Glenda bis zum anderen Ende durchschauen können. So aber war ihre Sicht durch einige Bäume versperrt. Sie konnte kaum etwas erkennen, veränderte ihre Position, legte auch mal den Kopf schief und versuchte so, einen Blick hinter die Bäume zu werfen.
Sie hatte Glück.
Plötzlich sah sie eine Gestalt. Ein Mann. Lange Haare flatterten im Wind. Wenn sie nicht alles täuschte, hielt der Typ ein Messer in der rechten Hand. Er hatte sie vorgestreckt und bedrohte damit, jemand, den Glenda nicht sehen konnte, weil ihr wieder die Bäume die Sicht nahmen.
Das konnte die Frau sein, deren Schrei sie gehört hatte. Nun vernahm sie das scharfe Lachen des Typs. Eine andere Männerstimme gab die Antwort. Verstehen konnte Glenda nichts. Ihr war längst klar, dass man dort nicht eben ein Kinderspiel durchführte. Dazu benötigte man kein Messer. Da war jemand in Gefahr.
Glenda Perkins gehörte nicht zu den Menschen, die davor die Augen verschloss. Auch wenn sie allein gegen mindestens zwei Gegner stand, spürte sie einfach den Drang, einzugreifen. Sie hasste es, wenn andere Menschen unterdrückt wurden.
Sie stieg über den Zaun. Das Gras auf der Wiese verschluckte ihre Trittgeräusche. Sie ging ziemlich schnell und war auch bisher nicht entdeckt worden.
Der langhaarige Typ mit dem Messer hatte seinen Platz verlassen. Er war wieder ein paar Schritte nach vorn gegangen und befand sich jetzt in Deckung der Bäume. Der Wind spielte mit den Blättern. Sie raschelten gegeneinander und hinterließen eine geheimnisvoll klingende Musik.
Glenda hörte wieder einen Schrei. Er erstickte im Ansatz. Diesmal hatte sich wieder die Frau gemeldet. Glenda brauchte nicht groß zu raten, um zu wissen, was sich dort abspielte. Diese Art von Spielen gefiel ihr ganz und gar nicht.
Noch war sie nicht gesehen worden. Sie schlug auch keinen Bogen, aber sie wollte im Rücken des Messertyps erscheinen und ihn überraschen. Ein paar Äste lagen noch im Weg. Der Sturm hatte sie von den Bäumen gerissen. Glenda überstieg sie. Dann ging sie noch schneller, als sie das Keuchen hörte - und befand sich wenig später genau dort, wo sie hatte hingehen wollen.
Glenda brauchte nicht zweimal hinzuschauen, um zu erkennen, was sich da abspielte. Die Szene war einfach typisch. Sie hätte auch in einen Film hineinpassen können, aber leider entsprach sie der Wahrheit.
Zwei Männer und eine Frau.
Frau? Nein, das war mehr ein Mädchen, eine sehr junge Frau noch.
Nicht älter als zwanzig. Den Typ mit dem langen Haar kannte sie bereits. Er drehte ihr auch jetzt den Rücken zu und hatte auch sein Messer nicht weggesteckt.
Der zweite Kerl hielt die junge Frau jetzt. Er hatte sie in einen Würgegriff genommen. Mit dem Rücken berührte er einen dicken Stamm. Der linke Arm war um den Hals der Blonden geschlungen, seine rechte Hand hatte er in den V-Ausschnitt des hellblauen Sommerpullovers gesteckt. Die helle Hose der Frau zeigte Schmutzspuren. Im Gesicht bewegte sich nichts. Aber Glenda entdeckte auch nicht die große Angst darin, die sie eigentlich erwartet hatte.
Eigentlich hätte der zweite Kerl sie sehen müssen, doch sein Blick war mehr nach unten gerichtet und verfolgte die Bewegungen der Hand unter dem Pullover. Im Gegensatz zu seinem Kumpan hatte sich dieser Typ die Haare so
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