Die Nacht im Stau (German Edition)
stimmte Sonja innerlich zu. Robert war nicht nur schüchtern und zurückhaltend, er war eigentlich ein echt netter Kerl, ein richtiger Kumpel. Wie er jetzt so da stand und sich vor Verlegenheit wandte, tat er ihr fast leid.
Um Wiedergutmachung bemüht suchte sie seinen Blickkontakt, doch er wich ihr aus.
Wegen der hohen Luftfeuchtigkeit begannen sich s eine blonden Locken zu kringeln. Eigentlich sah er ganz gut aus, überlegte Sonja. Wenn er doch nur nicht so gehemmt wäre!
Den Blick immer noch abgewandt, sagte Robert leise: „Im Frühjahr habe ich sogar die Blumen für den Muttertag in der Aktentasche getragen, damit mich niemand damit sieht.“ Er zitterte vor Kälte. „Es wäre mir furchtbar peinlich gewesen.“
Allmählich begann Sonja sich in ihrer Haut unwohl zu fühlen. Wenn sie ganz ehrlich war, spielte sie mit den Gefühlen dieses schlaksigen jungen Mannes und das war nicht fair. Außer ein bisschen Zuneigung empfand sie nichts für ihn, keine starken Emotionen, auf gar keinen Fall so etwas wie Liebe.
„Komm, lass uns ins Kaufhaus zum Aufwärmen gehen“ , schlug sie vor.
Robert nickte.
Kaum dass sie den Bistrotisch verlassen hatten, nahm er ihre Hand. Ganz leicht hielt er sie, so als ob er ständig auf eine Abwehrreaktion wartete, darauf, dass sie ihm ihre Hand entzog. Doch sie ließ es geschehen, ja sie hielt ihn im Gedränge sogar ganz fest. Während sie sich so durch die Menschenmenge kämpften, kam ihr für einen Moment ihr erster gemeinsamer Tanz in den Sinn, der ja erst vor wenigen Tagen stattgefunden hatte, an die Wärme, die seine Nähe ihr gegeben hatte, an seine Fürsorge. Vielleicht sollte sie Roberts Zuneigung doch nicht so ohne weiteres abtun. Vielleicht würde sich ja doch noch etwas zwischen ihnen entwickeln. Warum nicht einfach abwarten? Schluss machen konnte sie jederzeit. Gerade jetzt, in dieser emotionsgeladenen Vorweihnachtszeit, war es gut, wenn man nicht so alleine sein musste.
In den darauf folgenden Wochen betrachtete Sonja die neue Beziehung dennoch nur als eine nette Freundschaft. Mehr konnte es für sie anfänglich nicht sein. Ihr war völlig klar, dass sie Robert als Ersatz für ihren Verflossenen genommen hatte, als Notlösung sozusagen. Nach dem Verlustschmerz über ihre erste Liebe tat es einfach gut, jemanden an ihrer Seite zu haben, der ihr schmeichelte, der sie zu mögen schien.
Sie habe wunderschö ne, seidig glänzende Haare bewunderte er ihre zottelige braune Mähne, die ihr bis zum BH-Verschluss reichte. Von ihren tiefblauen Augen schwärmte er, obwohl sie diese für eher blassblau hielt. Und sie sei eine klasse Frau sagte er, wobei seine Augen leuchteten.
Es dauerte einige Zeit , bis sie das erste Mal miteinander schliefen. Er sei Jungfrau, verriet er. Sie war es nicht mehr.
Ab jenem Zeitpunkt sprach Robert von Liebe und davon, dass sie vielleicht einmal heiraten würden. Sonja fand seine Zukunftsperspektive zunächst einfach nur niedlich. Und natürlich tat es gut, dass sie ihm so viel bedeutete. Helmut hatte sich, was das Thema Heirat anbetraf, immer sehr bedeckt gehalten. Ihn hätte sie sich eher als ihren späteren Mann vorstellen können. Robert hingegen war so jung! Gerade mal neunzehn war er, zwei Monate älter als sie. Zugegeben, Helmut war auch nicht älter gewesen, aber er war viel kräftiger, breitschultriger. Bei ihm hatte sie sich anlehnen können, er wirkte viel eher als Mann. Robert hingegen war eben nur ihr schlaksiger ehemaliger Mitschüler.
Gleich von Beginn an merkte Sonja , dass sie und Robert von den Interessen doch recht verschieden waren, aber sie verdrängte dieses Gefühl, denn sonst hätte sie ihm gleich den Laufpass geben müssen und das wollte sie nicht. Ihr fehlten nur noch wenige Monate bis zum Abitur, da brauchte sie keinen Stress. In der Schule schlug sie sich mit „Maria Stuart“ herum, mit „Beckett oder die Ehre Gottes“, mit Gentechnik und dem gesamten Geschichtswissen ab 1630. Robert hingegen hatte das Gymnasium nach der Mittleren Reife verlassen und war noch dabei, eine Lehre als Zahntechniker zu machen. Ihre Gesprächsthemen waren begrenzt, aber das störte in der Anfangsphase wenig.
Was Sonja zunehmend störte, war, dass er manchmal zuviel trank. Waren sie mit seinen Kollegen von Zahntechnischen Labor zusammen, wurde der ruhige, liebe Robert zum Großmaul. Dann sprach er genau so primitiv wie seine Arbeitskollegen, erzählte schmutzige Witze und verhielt sich wie ausgewechselt.
In jenen ersten Monaten war
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