Die Nacht im Stau (German Edition)
sie ziemlich unsicher, ob sie wirklich ein Leben lang mit ihm zusammen bleiben würde.
Schlagartig wird es draußen dunkler. Für einen Moment schaut Sonja vom rollenden Verkehr hinauf zum Himmel. Bedrohliche schwarze Wolken ziehen auf. Bloß jetzt keinen Schnee, denkt sie.
S ie hat inzwischen fast das Leonberger Dreieck erreicht. Wie nicht anders zu erwarten, wird der Verkehr dichter. Klar: die ewige Dauerbaustelle am Engelbergtunnel. Sonja zieht das Fahrzeug von der Überholspur auf die rechte Seite und rollt brav hinter einem Kombi hinterher. Bloß keinen Strafzettel riskieren, dafür hat sie absolut kein Geld übrig.
Nach dem Abitur hatte sie an der Pädagogischen Hochschule begonnen zu studieren. Das lag jetzt etwas mehr als drei Jahre zurück. In dieser Zeit nahmen die Spannungen mit Robert zu.
Es gab so viel, wovon sie ihm hätte erzählen wollen, von den Vorlesungen über Rousseau, von den Seminaren zur Didaktik. Natürlich interessierte es ihn, oberflächlich zumindest, doch zum tieferen Verständnis fehlte ihm einfach das Allgemeinwissen. Seine Welt bestand aus Gebissen, Implantaten und Jacketkronen.
Einmal, als sie verabredet waren und er nicht zum vereinbarten Treffen erschien, war sie zu ihm nach Hause gefahren. Seine Schwester hatte geöffnet. Robert lag mit einem gewaltigen Kater im Bett und musste sich permanent übergeben. Am Abend zuvor hatte er mit einem Freund eine halbe Flasche Whisky getrunken und musste, als er gegen fünf Uhr heimkam, von Mutter und Schwester ins Haus getragen werden.
Wie er da so lag, weiß im Gesicht, s chwach, wie ein Häufchen Elend, bekam Sonja zu ihrer eigenen Überraschung Mitleid mit ihm. Sie half ihm sich das Gesicht abzuwischen und saß eine Weile Händchen haltend an seinem Bett. Sie mochte ihn schon sehr gerne, diesen lieben blonden Jungen. Wenn er doch nur nicht so unreif wäre. Wie sollte man denn mit so jemandem zurechtkommen? Warum machte er nur solchen Mist?
Kurz darauf zeigte sich Robert wieder von seiner liebevollsten Seite. Zu ihrem bestandenen Führerschein überreichte er Sonja eine langstielige Rose. Er küsste sie zärtlich und flüsterte: „Du musst wissen, dass ich dich schrecklich gern mag.“
Damals wohnte sie noch zu Hause. An jenem Abend stellte sie Robert ihrer Mutter zum ersten Mal vor. Einen Abend lang spielten sie zu dritt Canasta, tranken ein Schlückchen Wein, den Sonjas Freund fachmännisch entkorkte, und knabberten Erdnüsse. Natürlich konnte es sich Sonjas Mutter nicht verkneifen, neugierige Fragen nach seiner Familie, seinem Beruf und seiner Zukunftsperspektive zu stellen. Lieb, wie Robert nun einmal war, beantwortete er alle Fragen aufrichtig und ungeschönt. Ihm schien es nicht das Geringste auszumachen, während Sonja am liebsten im Boden versunken wäre, aber um des lieben Friedens Willen riss sie sich zusammen und schwieg. Endlich war Sonjas Mutter zufrieden. Sie nickte wohlgefällig und beendete das peinliche Verhör. Gegen zweiundzwanzig Uhr verabschiedete Robert sich mit Handschlag und Verbeugung von der älteren Dame.
„Ein gut erzogener Junge “, flötete diese anschließend.
Sonja stöhnte innerlich laut auf, doch andererseits war sie auch zufrieden. Wie nicht anders zu erwarten, hatte Robert ihre Mutter mit seiner höflichen Art bestochen. Damit war er als zukünftiger Schwiegersohn zugelassen.
Wenn Sonja und Robert sich liebten oder lange Spaziergänge mit dem Hund der Friseurin unternahmen, schmiedeten sie Pläne für die Zukunft. Ganz allmählich begann Sonja dabei sich an den Gedanken zu gewöhnen, mit Robert für immer zusammen zu bleiben. Er war lieb, ehrlich und treu, er liebte sie – warum sollten sie beide nicht den Bund fürs Leben eingehen?
Ja, sagte er einmal, als das Gespräch auf die zukünftige Nachwuchsplanung kam, er wolle schon Kinder haben, doch bei der Geburt dabei sein, nein, das wolle er nicht. Das sei Weibersache.
Indigniert fuhr Sonja ihn an: „‚Weibersache‘. Was ist denn das für ein Ausdruck!“
„Wieso? Das ist doch ein ganz normales Wort.“ Robert grinste sie frech an. „Ich werde dich später auch als mein ‚Weib‘ bezeichnen. Mein Vater hat meine Mutter auch so genannt. Was ist denn da dabei?“
„Vielleicht ist das auch einer der Grü nde, weshalb deine Eltern heute geschieden sind!“ Sonja echauffierte sich zusehends. „Dieser Ausdruck beinhaltet eine Herabsetzung, die untragbar ist. Das stammt noch aus der Zeit, als der Mann der alles
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