Die Nacht im Stau (German Edition)
bestimmende Patriarch war! Ich werde es niemals zulassen, dass du mich so nennst! Das käme einer Unterordnung gleich und das werde ich nie tun.“
Sie kochte innerlich.
„Da s wird sich noch zeigen“, gab Robert siegessicher und ohne die geringste Spur einer Einsicht zurück.
An jenem Abend dachte Sonja wieder einmal ernsthaft daran, mit Robert Schluss zu machen. Warum war sie so blöd und gab diesem Typ nicht schleunigst den Laufpass?
Auch das noch! Jetzt beginnt es zu nieseln! Mit einem lauten Seufzer stellt Sonja den Scheibenwischer an. Das fehlt gerade noch! Im Wetterbericht hat man vor Glatteis gewarnt. Aus diesem Grund ist sie ja auch extra früher losgefahren. Der Regen soll gegen Spätabend in Schnee übergehen. Hoffentlich wird sie dann schon längst am Ziel angekommen sein.
S ie versucht, die Gedanken an Robert abzuschalten, sich voll und ganz auf den Verkehr zu konzentrieren, doch ihr Gehirn lässt sich nicht befehlen.
Ihren ersten großen Streit hatten sie nach etwa zehn Monaten. Eines Abends im Oktober waren sie gemeinsam mit einem Dutzend Kollegen aus dem Zahntechnischen Labor aufs Stuttgarter Volksfest gegangen. Sonja mochte diese Leute nicht. Sie kannten als Themen nur ihre Arbeit, frauenfeindliche Witze und das Saufen. Sie war mitgegangen, weil Robert sie darum gebeten hatte. An sich gefiel ihr das Cannstatter Volksfest recht gut. Sie wäre gerne mit Robert Kettenkarussell gefahren oder Geisterbahn, hätte Lose gekauft oder gezuckerte Mandeln. Doch die Gruppe steuerte zielstrebig ein Bierzelt an. Ein Tisch war reserviert und man würde die nächsten Stunden nur dort herum hocken.
Von der allerersten Minute an fühlte Sonja sich unwohl. Bier schmeckte ihr nicht, doch um nicht gleich als Außenseiterin aufzufallen, ließ sie sich wie alle anderen ein Maß bringen, stieß mit an und nippte ein wenig an ihrem Getränk. Sie würde warten, bis Robert seinen Krug ausgetrunken hatte und dann die Krüge tauschen, in der Hoffnung, die anderen bekämen es vielleicht nicht mit.
D ie gesamte Runde ließ sich gleich zu Beginn jeder ein Göckele bringen. Dadurch bekam Sonja wenigstens eine Grundlage in ihren Magen und man würde ihr den ungewohnten Alkoholkonsum nicht sofort anmerken. Immerhin war das Fleisch lecker gewürzt und schmeckte gut.
Die ersten zwei Stunden vergingen mit Essen, Trinken und Smalltalk. Eine richtige Unterhaltung war so gut wie unmöglich, dazu dröhnte die Humpta Humpta Musik viel zu laut.
Sonja versuchte, sich an Robert anzulehnen, um wenigstens seine Nähe zu spüren. Innerlich hoffte sie, ihn vielleicht zum Gehen animieren zu können, doch er reagierte nicht.
Sich an der Unterhaltung zu beteiligen verspürte sie wenig Lust. Wa s sollte sie auch sagen in Situationen wie die, als einer von Roberts Kollegen sie anrempelte und fragte: „Was sagt eine Frau mit Sperma auf der Brille?“ Sie schaute ihn ratlos an. Sich auf die Schenkel schlagend röhrte er: „Ich hab’s kommen sehen.“
Schon bald begann der ganze Saal zu schunkeln und wenig später standen fast alle Menschen auf den Tischen und ein jeder grölte mit zur Musik. Sonja wäre am liebsten unauffällig verschwunden, doch das ging natürlich nicht. Robert wäre stinksauer geworden, das wusste sie. Was also blieb ihr anderes übrig als gute Miene zum bösen Spiel zu machen?
Der Knatsch folgte tags darauf. Robert erschien schon schlecht gelaunt zum Treffen.
„Hattest du Stress im Labor?“, fragte sie.
„Nein“, erwiderte er mit gereizter Stimme. „Meine Kollegen haben mich heute nur gefragt, ob mir deine Anhänglichkeit nicht zu viel wird. Sie sagten, du hättest mich gestern den ganzen Abend mit Beschlag belegt.“
Sonja verschlug es fast die Sprache.
„Und? Hab ich das?“, meinte sie schließlich.
Robert schaute verlegen zur Seite .
„Ein bisschen schon“, gab er kleinlaut von sich. „Auße rdem haben sie den Anschein bekommen, du würdest dich als etwas Besseres fühlen. Weil du dich so wenig am Gespräch beteiligt hast.“
„Na, super“, prustete Sonja heraus. „Über was soll ich mich denn bei diesem Gegröle unterhalten? Über blöde Witze? Über den Au sschnitt der Kellnerin? Nein, danke.“
Sie biss sich auf die Lippen. Von ihrem Sitzplatz in der Straßenbahn aus beobachtete sie den vorbei fließenden Verkehr. Wäre sie doch lieber nicht mitgegangen. Aber dann hätte sie sich vermutlich geärgert und sich womöglich Gedanken gemacht, was Robert auf dem Volksfest ohne sie erleben
Weitere Kostenlose Bücher