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Die Nacht Von Lissabon

Die Nacht Von Lissabon

Titel: Die Nacht Von Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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rasch.‹
      Sie schüttelte den Kopf. ›Das habe ich gelernt, bevor du kamst. In den Jahren der Denunziation. Nationale Erhebungen sind wie Steine, die man vom Boden hebt - das Ungeziefer kriecht darunter hervor. Es hat für seine Vulgarität endlich große Worte, die es decken.‹
      Der Hotelassistent gab mir meinen Schlüssel, und ich ging auf mein Zimmer. Helen blieb unten, um auf mich zu warten.
    Mein Koffer stand neben der Tür auf einem KofferStand. Ich blickte mich in dem belanglosen Zimmer um. Es war wie viele, in denen ich gehaust hatte. Ich versuchte mich zu erinnern, wie ich angekommen war, aber die Erinnerung daran verschwamm bereits. Ich erkannte, daß ich nicht mehr am Ufer stand oder mich versteckte und auf den Strom blickte - ich schwamm schon auf einer Planke mit.
      Ich stellte den Koffer, den ich mitgebracht hatte, neben den, den ich früher gekauft hatte. Dann ging ich wieder hinunter zu Helen.
    ›Wie lange hast du Zeit?‹ fragte ich.
    ›Ich muß den Wagen heute nacht zurückbringen.‹
      Ich sah sie an. Ich begehrte sie so, daß ich einen Augenblick nicht sprechen konnte. Ich starrte auf die braunen und grünen Sessel der Halle und auf die Portiersloge und den scharfbeleuchteten Tisch mit den vielen Brieffächern im Hintergrund und wußte, daß es hier unmöglich war, Helen auf mein Zimmer zu bringen. ›Wir können noch zusammen essen‹, sagte ich. ›Laß uns so tun, als ob wir uns morgen wiedersähen.‹
    ›Nicht morgen‹, erwiderte Helen. ›Übermorgen.‹
      Übermorgen mochte etwas für sie bedeuten; für mich war es noch so wie niemals oder eine unsichere Chance in einer Lotterie mit wenigen Gewinnen und zahllosen Nieten. Ich hatte zu viele Übermorgen erlebt, und sie waren alle anders gewesen, als ich gehofft hatte.
      ›Übermorgen‹, sagte ich. ›Übermorgen oder einen Tag später. Es richtet sich nach dem Wetter. Wir wollen heute nicht daran denken.‹
    ›Ich denke an nichts anderes‹, erwiderte Helen.
    Wir gingen in den Domkeller, ein altdeutsch eingerichtetes Restaurant, und fanden einen Tisch, an dem wir nicht belauscht werden konnten. Ich bestellte eine Flasche Wein und wir besprachen, was zu besprechen war. Helen wollte morgen nach Zürich fahren. Dort würde sie auf mich warten. Ich wollte den Weg über Österreich und den Rhein nehmen, den ich kannte, und sie anrufen, wenn ich Zürich erreicht hätte.
    ›Und wenn du nicht kommst?‹ fragte sie.
      ›Man darf aus Schweizer Gefängnissen schreiben. Warte eine Woche. Wenn du dann nichts von mir gehört hast, fahre zurück.‹
      Helen sah mich lange an. Sie wußte, was ich meinte. Aus deutschen Gefängnissen gab es keine Gelegenheit mehr, zu schreiben. ›Ist die Grenze scharf bewacht?‹ flüsterte sie.
    ›Nein‹, sagte ich. ›Und denk nicht darüber nach. Ich bin
    hereingekommen - warum sollte ich nicht hinauskommen?‹
      Wir versuchten, den Abschied zu ignorieren; aber wir konnten es nicht ganz. Wie eine mächtige schwarze Säule stand er zwischen uns, und alles, was wir tun konnten, war, um ihn herum gelegentlich einen Blick auf unsere verstörten Gesichter zu erhaschen. ›Es ist wie vor fünf Jahren‹, sagte ich. ›Nur dieses Mal gehen wir beide.‹ Helen schüttelte den Kopf. ›Sei vorsichtig!‹ sagte sie. ›Sei um Gottes willen vorsichtig! Ich werde warten. Länger als eine Woche! So lange du willst. Riskiere nichts!‹
      ›Ich werde vorsichtig sein. Laß uns nicht darüber sprechen. Man kann Vorsicht zerreden. Sie ist dann nicht mehr gut.‹
      Sie legte ihre Hand auf meine Hand. ›Ich begreife erst jetzt, daß du gekommen bist! Jetzt, wo du wieder gehst! So spät!‹
    ›Ich auch‹, erwiderte ich. ›Es ist gut, daß wir es jetzt wissen.‹
    ›So spät‹, murmelte sie. ›Erst jetzt, wo du gehst.‹
      ›Nicht erst jetzt. Wir haben es immer gewußt. Wäre ich sonst gekommen, und hättest du auf mich gewartet? Wir können es uns nur jetzt zum erstenmal sagen.‹
    ›Ich habe nicht immer gewartet‹, sagte sie.
      Ich schwieg. Ich hatte auch nicht gewartet, aber ich wußte, daß ich es ihr nie sagen durfte. Am wenigsten jetzt. Wir waren beide ganz offen und ohne jede Verteidigung. Wenn wir je zusammenleben würden, dann war es dieser Augenblick in einem lärmenden Restaurant in Münster, zu dem wir immer wieder und jeder für sich zurückkehren konnten, um Kraft und Bestätigung zu holen. Er würde ein Spiegel sein, in den wir blicken konnten, und er würde uns

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