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Die Nacht Von Lissabon

Die Nacht Von Lissabon

Titel: Die Nacht Von Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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klingeln, so würde ich nicht antworten. Sollte Georg zurückkommen, so konnte ich zur Not über den Küchenausgang entfliehen.
    Ich saß die halbe Stunde in der Nähe des Fensters und horchte auf die Geräusche der Straße. Nach einer Weile begann sich lautlos ein ungeheures Gefühl des Verlustes in mir auszubreiten. Es war nicht schmerzhaft; es war eher wie eine Dämmerung, die weiter und weiter kriecht und alles überschattet und leert, bis sie selbst den Horizont verhüllt. Eine Schattenwaage balancierte eine leere Vergangenheit gegen eine leere Zukunft, und in der Mitte stand Helen, den Schattenbalken der Waage auf ihren Schultern, und auch sie schon verloren. Es war mir, als sei ich in der Mitte meines Lebens; der nächste Schritt würde die Waage verschieben, sie würde langsam sinken, der Zukunft zu, sich mehr und mehr mit Grau füllen und nie wieder im Gleichgewicht sein.
    Das Summen des heranfahrenden Wagens weckte mich.
    Ich sah Helen im Licht der Straßenlampe aussteigen und in der Haustür verschwinden. Ich ging durch die dunkle, tote Wohnung und hörte den Schlüssel in der Wohnungstür. Sie kam rasch herein. ›Wir können fahren‹, sagte sie. ›Mußt du zurück nach Münster?‹
      ›Ich habe einen Koffer dagelassen. Und ich bin unter dem Namen Schwarz registriert. Wohin sollte ich sonst gehen?‹
    ›Bezahle das Hotel und geh in ein anderes.‹
    ›Wo?‹
      ›Ja, wo?‹ Helen dachte nach. ›In Münster‹, sagte sie schließlich.
    ›Du hast recht. Wo sonst? Es ist am nächsten.‹
      Ich hatte ein paar Sachen, die ich brauchen konnte, in einen Koffer gepackt. Wir beschlossen, daß ich nicht vor dem Hause in den Wagen steigen sollte, sondern ein Stück weiter, auf dem Hitlerplatz. Helen würde den Koffer mitbringen.
      Ich gelangte ungesehen auf die Straße. Ein warmer Wind wehte mir entgegen. Das Laub der Bäume rauschte in der Dunkelheit. Helen holte mich auf dem Platz ein. ›Steig ein‹, flüsterte sie. ›Rasch!‹
      Der Wagen war ein geschlossenes Kabriolett. Helens Gesicht war vom Widerschein des Instrumentenbrettes angestrahlt. Ihre Augen glänzten. ›Ich muß vorsichtig fahren‹, sagte sie. ›Ein Unfall und Polizei - das wäre alles, was noch fehlte!‹
    Ich antwortete nicht. Man redete draußen nicht von solchen Dingen; es zog sie herbei. Helen lachte und fuhr die Wälle entlang. Sie war von einer fast fiebrigen Energie, als wäre das ganze ein Abenteuer; sie sprach mit sich selbst und dem Wagen, wenn sie anderen Gefährten auswich oder sie überholte. Wenn sie in der Nähe eines Verkehrspolizisten anhalten mußte, murmelte sie Beschwörungen; und wenn ein rotes Licht sie stoppte, trieb sie es zur Eile an: ›Los! Dreh dich! Werde grün!‹
      Ich wußte nicht, was ich davon halten sollte. Für mich war es unsere letzte Stunde. Ich ahnte nicht, wozu sie sich bereits entschlossen hatte.
    Als wir die Stadt hinter uns hatten, wurde sie ruhiger.
    ›Wann willst du von Münster weiterfahren?‹ fragte sie.
      Ich wußte es nicht, weil es kein Ziel gab. Ich wußte nur, daß ich nicht lange mehr bleiben konnte. Das Schicksal gibt einem nur eine gewisse Narrenfreiheit; dann warnt es und schlägt zu. Man spürt manchmal, wenn die Zeit da ist. Ich spürte, daß sie da war. ›Morgen‹, sagte ich.
      Sie erwiderte eine Weile nichts. ›Und wie willst du es machen?‹ fragte sie dann.
    Ich hatte darüber nachgedacht, während ich allein im
    dunklen Wohnzimmer saß. Zu versuchen, den Zug zu nehmen und einfach an der Grenze meinen Paß vorzuweisen, schien mir ein viel zu großes Risiko zu sein. Man konnte mich nach anderen Papieren fragen, nach einer Auswanderungserlaubnis, einer Reichsfluchtsteuerbestätigung, nach einem Vermerk im Paß - alles das besaß ich nicht. ›Denselben Weg, den ich gekommen bin‹, sagte ich. ›Durch Österreich. Über den Rhein in die Schweiz. Nachts.‹ Ich wandte mich Helen zu. ›Laß uns nicht darüber reden‹, sagte ich. ›Oder so wenig wie möglich.‹ Sie nickte. ›Ich habe Geld mitgebracht. Du wirst es brauchen. Wenn du heimlich über die Grenze gehst, kannst du es mitnehmen. Kann man es in der Schweiz wechseln?‹
    ›Ja. Aber brauchst du es nicht selbst?‹
      ›Ich kann es nicht mitnehmen. Ich werde an der Grenze kontrolliert. Man darf nur ein paar Mark bei sich haben.‹
      Ich starrte sie an. Was redete sie da? Sie mußte sich versprochen haben. ›Wieviel ist es?‹ fragte ich.
      Helen blickte mich rasch an. ›Nicht so

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