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Die Nacht Von Lissabon

Die Nacht Von Lissabon

Titel: Die Nacht Von Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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zwei Bilder zeigen: das, wie das Schicksal uns gewollt, und das, wozu es uns gemacht hatte - und das war viel; die Irrtümer kommen immer daher, daß man das erste Bild verloren hat.
      ›Du mußt jetzt gehen‹, sagte ich. ›Sei vorsichtig. Fahre nicht zu schnell.‹ Ihre Lippen zuckten. Ich merkte die Ironie erst, nachdem ich es gesagt hatte. Wir standen in der windigen Straße zwischen den alten Häusern. ›Sei du vorsichtig‹, flüsterte sie. ›Du brauchst es mehr.‹

    Ich blieb eine Zeitlang in meinem Zimmer, dann hielt ich es nicht mehr aus. Ich ging zum Bahnhof, kaufte mir eine Fahrkarte nach München und schrieb mir die Züge auf Es gab einen, der noch am selben Abend fuhr. Ich beschloß, ihn zu nehmen.
    Die Stadt war still. Ich kam am Domplatz vorbei und blieb stehen. Im Dunkel konnte ich nur einen Teil der alten Gebäude erkennen. Ich dachte an Helen und an das, was geschehen würde, aber es wurde so mächtig und undeutlich, wie die hohen Fenster im Schatten der Kirche; ich wußte plötzlich nicht mehr, ob es richtig war, sie zu holen, oder ob es zum Untergang fuhren würde und ob ich ein frivoles Verbrechen begangen oder eine unerhörte Gnade empfangen hatte, und vielleicht war es beides.
      In der Nähe des Hotels hörte ich unterdrücktes Sprechen und Schritte. Zwei SS-Leute kamen aus einer Haustür und stießen einen Mann auf die Straße. Ich sah sein Gesicht im Schein einer Straßenlaterne. Es war schmal und wächsern, und von der rechten Seite des Mundes lief ein schwarzer Blutfaden über das Kinn. Der Kopf war kahl, aber über den Schläfen wuchs dunkles Haar. Die Augen waren weit aufgerissen und voll eines solchen Entsetzens, wie ich es lange nicht mehr gesehen hatte. Der Mann schwieg. Seine Begleiter stießen und zerrten ihn ungeduldig vorwärts. Sie waren nicht laut; die ganze Szene hatte etwas Unterdrücktes, Gespenstisches. Die SS-Leute blickten mich wütend und herausfordernd an, als sie an mir vorüberkamen, und der Gefangene starrte mit seinen paralysierten Augen auf mich und machte etwas wie eine Geste um Hilfe, und seine Lippen bewegten sich; aber kein Laut kam hervor. Es war die ewige Szene der Menschheit - die Knechte der Gewalt, das Opfer, und der ewige Dritte, der Zuschauer, der die Hände nicht hebt und das Opfer nicht verteidigt und nicht versucht, es zu befreien, weil er für seine eigene Sicherheit furchtet und dessen eigene Sicherheit eben deshalb immer in Gefahr ist.
    Ich wußte, daß ich nichts für den Verhafteten hätte tun können. Die bewaffneten SS-Leute hätten mich mühelos überwältigt - ich erinnerte mich auch, wie mir jemand von einer ähnlichen Szene erzählt hatte. Er hatte gesehen, wie ein SS-Mann einen Juden verhaftete und verprügelte, und war ihm zu Hilfe gekommen; er hatte den SS-Mann bewußtlos geschlagen und dem Opfer zugerufen, zu fliehen. Aber der Verhaftete hatte seinen Befreier verflucht; er sei jetzt erst verloren, weil er nun in eine Situation gebracht worden sei, wo ihm auch dies aufgerechnet werde, und er war schluchzend Wasser holen gegangen, um den SS-Mann wieder zu Bewußtsein zu bringen, damit er von ihm zum Tode geführt werden konnte. Ich erinnerte mich an diese Erzählung, aber ich blieb trotzdem so verstört und in solch einem Widerstreit von Hilflosigkeit, Selbstverachtung, Angst und einem Gefühl fast von Frivolität, nach eigenem Glück auszublicken, während andere ermordet wurden, daß ich zum Hotel ging, meine Sachen holte und zum Bahnhof fuhr, obschon es noch zu früh dafür war. Es schien mir angepaßter, im Wartesaal zu sitzen, als mich im Hotelzimmer zu verbergen. Das kleine Risiko, das ich dadurch nahm, gab in einer kindischen Weise meinem Selbstgefühl wenigstens einen geringen Halt.«

    8

    »Ich fuhr die Nacht durch und den folgenden Tag und kam ohne Schwierigkeiten nach Österreich. Die Zeitungen waren voll von Forderungen, Beteuerungen und den üblichen Meldungen von Grenzzwischenfällen, die stets Kriegen vorangehen und bei denen es sonderbar ist, daß immer die schwachen Nationen von den starken der Aggressivität beschuldigt werden. Ich sah Züge mit Truppen; aber die meisten Leute, mit denen ich sprach, glaubten nicht an den Krieg. Sie erwarteten, daß ein neues München jedesmal dem vorjährigen folgen würde, und daß Europa viel zu schwach und dekadent sei, um einen Krieg mit Deutschland zu wagen. Es war ein scharfer Unterschied zu Frankreich, wo jeder wußte, daß der Krieg unausbleiblich war; aber der Bedrohte

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