Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die nächste Begegnung

Die nächste Begegnung

Titel: Die nächste Begegnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke
Vom Netzwerk:
Simone hinaus- und in Michaels Hände trieb. Da er der Vater war, oblag Richard die Aufgabe, die Nabelschnur zu durchtrennen. Als er das geschafft hatte, hob Michael Simone hoch, damit ich sie sehen könne. »Ein Mädchen«, sagte er mit tränenfeuchten Augen. Er legte sie mir behutsam auf den Bauch, und ich schob mich ein wenig hoch, um sie mir anzuschauen. Mein erster Eindruck war, dass sie genauso aussah wie meine Mutter.
    Ich zwang mich, präsent zu bleiben, bis die Nachgeburt entfernt war und ich mit Michaels Hilfe die Schnitte genäht hatte, die er mit dem Skalpell gemacht hatte. Dann brach ich zusammen. Ich erinnere mich an nichts aus den folgenden vierundzwanzig Stunden. Ich war von den Wehen und der Geburt (die Wehen kamen in Fünfminutenabständen über elf Stunden hin, bevor Simone geboren war) so erschöpft, dass ich bei jeder Gelegenheit wegschlief. Mein neues Babytöchterchen trank bereitwillig, völlig ohne Drängen, und Michael behauptet, sie hätte auch ein paarmal die Brust genommen, als ich nur halbwach war. Die Milch schießt mir jetzt sofort in die Brüste, sobald Simone zu saugen beginnt. Und sie schmatzt bef ri edigt, wenn sie fertig ist. Ich freue mich ungeheuer, dass meine Milch ihr bekommt — ich hatte gefürchtet, es könnte sich hier das gleiche Problem wie bei Genevieve ergeben.
    Einer von den beiden ist immer bei mir, wenn ich wach werde. Bei Richard wirkt das Lächeln auf seinem Gesicht immer ein wenig gezwungen, aber ich freue mich dennoch darüber. Michael kommt immer gleich zur Sache und legt mir Simone in die Arme oder an die Brust, sobald ich wach bin. Er nimmt sie sicher und sachgerecht auf, auch wenn sie brüllt, und brummelt dabei die ganze Zeit: »Sie ist so schön..
    In diesem Moment schläft Simone neben mir. Sie ist in eine von den Ramanern gemachte >Decke< gehüllt (es ist höchst schwierig, stof fl iche Eigenschaften, insbesondere qualifizierende wie >weich<, durch irgendeinen der quantitativen Begriffe zu definieren, die unsre Gastgeber begreifen können). Und ja, Simone sieht wirklich meiner Mutter ähnlich. Ihre Haut ist recht dunkel, wahrscheinlich sogar dunkler als meine, und der Haarschopf auf ihrem Schädel ist jettschwarz. Ihre Augen sind von einem tiefen Braun. Angesichts des noch konisch durch die Geburtskomplikationen deformierten Kopfes fällt es nicht leicht, Simone als >schön< zu bezeichnen. Aber selbstverständlich hat Michael recht. Sie ist hinreißend schön. Ich sehe mit meinen Augen bereitwillig in dem anfälligen, rötlichen Wurm, dem Geschöpf, das mit solch wilder Hektik atmet, die vorhandene Schönheit. Gegrüßt seist du in der lebendigen Welt, Simone Wakefield.

    2
    06-01-2201
    Habe seit zwei Tagen Depressionen. Und ich bin müde, ach, so müde. Obwohl mir natürlich klar ist, dass ich an dem typischen Postpartial-Syndrom leide, ist es mir bisher nicht gelungen, meine Gefühle der Niedergeschlagenheit zu überwinden.
    Heute Morgen war es am schlimmsten. Ich erwachte früher als Richard und lag dann still auf meiner Seite der Schlafmatte. Ich schaute zu Simone hinüber, die friedlich in ihrer romanischen Wiege an der Wand schlummerte. Und trotz der Liebe, die ich für sie fühlte, gelang es mir nicht, irgendwelche positiven Vorstellungen über ihre Zukunft zu denken. Das ganze glühende Ekstasegefühl, das ich bei ihrer Geburt empfand und das dann noch zweiundsiebzig Stunden lang anhielt, war restlos verschwunden. Durch meinen Kopf schoss ein unablässiger Strom von hoffnungslosen Vorstellungen und nicht zu beantwortenden Fragen. Wie wird dein Leben sein, meine kleine Simone? Und wie könnten wir, deine Eltern, dafür sorgen, dass du glücklich lebst?
    Mein Kleines, mein Liebling, du lebst hier mit deinen Eltern und ihrem getreuen Freund Michael O'Toole in einem Höhlenbau im Untergrund an Bord eines riesenhaften Raumschiffs, d as von außerhalb des Sonnensystems stammt. Die drei erwachsenen Wesen, denen du in deinem Leben begegnen wirst, sind alle Kosmonauten vom Planeten Erde und waren Angehörige der >Newton<-Besatzung, die vor fast einem Jahr mit einem Erkundungsauftrag gestartet wurde, um eine zylindrische Kleinwelt, die wir >Rama< nannten, zu erforschen. Deine Mutter, dein Vater und der General, Michael O'Toole, waren die einzigen Menschen an Bord dieses fremden Raumschiffs, als Rama plötzlich den Kurs änderte, um dem Angriff einer mit Nuklearsprengköpfen bestückten Raketenphalanx zu entkommen, die von Irrsinnigen auf der Erde

Weitere Kostenlose Bücher