Die nächste Begegnung
klares, deutliches Pfeifen in der Ferne. Wir hörten s o fort mit dem Essen auf, und die Männer packten sich in die Schutzanzüge und stiegen nach oben. Aber das Gepfeife ging weiter; ich griff mir Simone und meine Schutzkleidung, wickelte mein Baby in zahlreiche Decken und folgte Richard und Michael hinaus in die Kälte.
Hier oben war das Pfeifen viel durchdringender. Wir waren ziemlich sicher, dass es von Süden kam, aber da es Rama-Nacht war, zögerten wir, uns von unserer Höhlenburg zu entfernen. Aber ein paar Minuten später sahen wir die Spiegelungen von Lichtblitzen auf den blanken Flächen der umliegenden Wolkenkratzer, und unsere Wissbegier ließ sich nicht mehr bremsen. Wir krochen vorsichtig zum südlichen Gestade der Insel, wo keine Bauten uns den Blick auf die imposanten Gipfelhörner in der Südlichen Rama-Schüssel verstellten.
Als wir ans Gestade des Zylindermeeres gelangten, war drüben, am >Südpol<, bereits ein phantastisches Lichterspektakel im Gange. Die vielfarbigen Lichtbögen flogen und erhellten zuckend die gigantischen Spitzen in der Südschüssel — über eine Stunde lang. Sogar meine kleine Simone war von den langen gelben, blauen und roten Bändern wie hypnotisiert, die zwischen den Spitzen dahinzuckten und in der Finsternis regenbogenartige Muster zeichneten. Als dann die Show abrupt abbrach, knipsten wir unsre Stablampen an und zogen zu unserem Höhlenbau zurück.
Unsre lebhafte Unterhaltung wurde nach ein paar Minuten von einem fernen, langanhaltenden Schrei abrupt unterbrochen, der ohne Zweifel von einem jener vogelartigen Geschöpfe stammen musste, die Richard und mir im vergangenen Jahr bei der Flucht aus New York geholfen hatten. Natürlich blieben wir sofort stehen und lauschten. Und weil wir von diesen Flugwesen weder eins zu Gesicht bekommen noch sie gehört hatten, seitdem wir nach New York zurückgekehrt waren, um die Ramaner vor den anfliegenden Nuklearraketen zu warnen, waren Richard und ich ganz aufgeregt. Er war ein paarmal drüben bei ihrem Untergrundnest gewesen, hatte jedoch auf seine Rufe in den Schacht hinab nie eine Antwort erhalten. Erst vor einem Monat sagte er noch, dass er glaubte, die Flugwesen hätten sich völlig aus New York verzogen ... aber das Kreischen in dieser Nacht deutet schlüssig darauf hin, dass wenigstens einer unserer Freunde noch da ist.
Sekunden später, noch ehe wir uns einig werden konnten, ob einer in Richtung auf den Schrei Erkundungen machen sollte, hörten wir ein weiteres, ebenfalls vertrautes Geräusch, das aber zu laut war, als dass uns dabei noch wohl zumute hätte sein können. Glücklicherweise befanden sich die schabenden Bürstenbesen nicht zwischen uns und unserer Höhle. Ich schlang beide Arme um Simone und rannte los in Richtung dorthin. In der Dunkelheit und Eile stieß ich dabei mindestens zweimal gegen irgendwelche Gebäude. Michael kam als Letzter zurück. Inzwischen hatte ich die Schutzdecke und das Gitter geöffnet. »Es sind mehrere«, keuchte Richard atemlos, als der Lärm der Oktos rings um uns lauter wurde. Er richtete seine Lampe in die lange Schneise, die von unserem Schacht nach Osten führte, und wir sahen zwei große, dunkle, Objekte, die sich auf uns zubewegten.
Normalerweise legen wir uns zwei, drei Stunden nach dem Abendessen schlafen, aber diesmal machten wir eine Ausnahme. Das Lichterspektakel, die Schreie der Flugwesen und der Beinahe-Zusammenstoß mit den Oktarachniden hatten uns alle drei energetisch aufgeladen, und wir redeten und redeten. Richard war überzeugt, dass etwas wirklich Bedeutsames im Gange sein müsse. Er erinnerte uns daran, dass dem Erdkontaktmanöver Ramas ebenfalls ein kurzes Lichterspektakel in der Südschüssel vorausgegangen war. Damals, erinnerte er uns, wären die Newton-Kosmonauten einhellig der Meinung gewesen, dass diese ganze Demonstration als Ankündigung oder möglicherweise als eine Art Alarm gedacht gewesen sei. Was also, überlegte er laut, hatte dann wohl die heutige sensationelle Show zu bedeuten?
Und für Michael — der vor dem dichten Vorbeiflug an der Erde niemals länger in Rama gewesen war und der noch nie direkten Kontakt zu den Fluggeschöpfen oder den Oktos gehabt hatte — waren die Ereignisse des Abends von besonders großem Gewicht. Der fl üchtige Anblick dieser tentakeltragenden Wesen, die in der Straßenschneise auf uns zustrebten, vermittelte ihm einen drastischen Eindruck von dem Entsetzen, das Richard und ich fühlten, als wir im vergangenen
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