Die nächste Begegnung
Antwort, ziemlich selbstsicher, gerade als das laute Pfeifen einsetzte.
Und die nächtliche Show kam mir wirklich noch prächtiger vor. Vielleicht war es ein Gefühl der Vorwegnahme in mir. Diesmal war die dominierende Farbe eindeutig Rot. Einmal zeichnete ein feuerroter Lichtbogen ein perfektes Hexagon über die Spitzen der sechs kleineren Hörner. Aber so sensationell die ramanischen Lichtspiele auch waren, sie waren nicht der Höhepunkt dieses Abends. Nach etwa dreißig Minuten Feuerwerk schrie Michael plötzlich »Da, schaut!« und wies auf das Gestade hinunter, wo Richard und er zuvor die Oktarachniden gesehen hatten.
Über der gefrorenen Zylindrischen See waren gleichzeitig mehrere glühende Lichtbälle aufgeflammt. Diese >Leuchtkugeln< schwebten etwa fünfzig Meter in der Luft und erhellten auf dem Eis unter ihnen eine Fläche von grob geschätzt einem Quadratkilometer. Während der knappen Minute, in der wir Einzelheiten erkennen konnten, sahen wir, wie eine gewaltige schwarze Masse sich südwärts über das Eis bewegte. Kurz bevor die Leuchtkugeln erloschen, reichte mir Richard sein Fernglas. Ich konnte in der dunklen Masse einzelne Individuen ausmachen. Erstaunlich viele der Oktos trugen Farbmuster auf dem Kopf, aber vorwiegend waren sie von einem dunklen Grauschwarz — wie die, welche uns in dem Tunnel gejagt hatten. Und die golden-schwarzen Tentakeln und der Körperbau lieferten uns die Bestätigung, dass diese Wesen zur selben Spezies gehörten wie jene, die im vergangenen Jahr die Spikestreppe heraufgeklettert kam. Und Richard hatte recht: Es waren Dutzende.
Als Rama zu manövrieren begann, kehrten wir eilends in unsern Bau zurück. Während der extrem heftigen Vibrationen wäre es gefährlich gewesen, sich draußen aufzuhalten. Dabei brachen von den umliegenden Wolkenkratzern kleinere Trümmerstücke ab und sausten krachend zu Boden. Simone hatte zu weinen begonnen, kaum dass das Beben eingesetzt hatte.
Nach dem schwierigen Abstieg in unser Domizil begann Richard sofort mit der Überprüfung der externen Sensoren, insbesondere achtete er auf die Positionen der Gestirne und Planeten (auf manchen ramanischen Bildrastern lässt sich der Saturn eindeutig identifizieren) und führte dann auf der Basis seiner Beobachtungsdaten neue Berechnungen durch. Michael und ich wechselten uns ab, Simone im Arm zu halten — am Ende hockten wir uns in die Ecke des Raums, wo die zwei zusammenstoßenden Wände uns eine Art Pseudostabilität vermittelten — und redeten über den vergangenen bemerkenswerten Tag.
Knapp eine Stunde später eröffnete Richard uns die Ergebnisse seiner vorläufigen Flugbahnbestimmung. Erst lieferte er uns die auf die Sonne bezogenen Grunddaten unseres hyperbolischen Flugwegs, bevor das Rama-Manöver begann. Dann präsentierte er uns auf dramatische Weise seine neuen >Oskulativ Elemente< (wie er d as nannte) in unserer bevorstehenden Flugbahn. Irgendwo in den Grüften meines Gedächtnisses habe ich wahrscheinlich die Definition für >okulierendes Element< gespeichert, aber zum Glück brauchte ich diesmal nicht danach zu graben. Es gelang mir, aus dem Kontext zu verstehen, dass Richard ein Kürzel verwendete, um uns klarzumachen, wie stark sich unsere hyperbolische Flugbahn während der ersten drei Stunden seit Beginn des Manövers verändert hatte. Aber w as eine Veränderung der Hyperbelexzentrizität so insgesamt bedeutet, das entzog sich mir.
Michael allerdings schien sich besser an seine himmelsmechanische Ausbildung zu erinnern. »Bist du ganz sicher?«, fragte er sofort.
»Die quantitativen Ergebnisse haben eine breite Fehlermarge«, antwortete Richard. »Aber bezüglich der qualitativen Art unsrer Flugbahnänderung kann es keinen Zweifel geben.«
»Also nimmt unsre Fluchtgeschwindigkeit aus dem Sonnensystem zu?«, fragte Michael.
»Korrekt.« Richard nickte beifällig »Unsere Beschleunigungsenergie geht praktisch ganz in die Richtung, die unsere Fluggeschwindigkeit relativ zur Sonne erhöht. Das Manöver hat jetzt schon unsere solargestützte Fluggeschwindigkeit um viele Kilometersekunden erhöht.«
»Mann!«, sagte Michael. »Das haut einen um.«
Ich begriff, was Richard uns damit sagte. Hatten wir bisher noch gehofft, vielleicht auf einer Rundreise zu sein, die uns durch irgendeinen Zauber wieder zur Erde zurückführen könnte, so waren derartige Hoffnungen nun zertrümmert. Rama zog sich viel schneller aus dem Sonnensystem zurück, als wir alle es erwartet hatten.
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