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Die Nanowichte

Die Nanowichte

Titel: Die Nanowichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Harman
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spaltete sich etwa hundert Fuß über dem Boden in drei Arme auf, die gleichzeitig in die drei Scheuern fuhren und die komplette Jahresernte axolotischer Avocados verschmorten.
    Quintzi saß, vor derlei Heimsuchungen verhältnismäßig sicher und geschützt, im Großen Gemeindetempel und wollte seinen betäubten Ohren nicht trauen. Er hatte es geschafft, hatte gewonnen, hatte den Preis eingeheimst! Von allen Seiten schlug ihm dröhnender Applaus an die Ohren, als er entgeistert aufstand und die steile Treppe hintertorkelte, um sich seinen Preis abzuholen. Geschockt, wie er war, bemerkte er nicht, daß in jeder Zuhörerreihe, die er passierte, entsetzte Ellbogen verstörte Rippen anrempelten und mit bestürztem Zucken in seine Richtung zeigten. Nach und nach fielen überall im Tempel Kinnladen herunter, und die Dezibelzahlen des begeisterten Beifalls stürzten tief in das Vakuum der Totenstille.
    Quintzi machte sich an den Aufstieg, stieg mit schwirrendem Kopf, die Hände nach der goldglänzenden Statuette ausgestreckt, auf das erhöhte Podium in der Bühnenmitte. Sein Preis! Nie hätte er geglaubt, daß das einmal geschehen würde! Wie im Traum trat er auf die letzte Stufe und schwebte auf Tehzo zu, der (so mußte er bei dieser Gelegenheit feststellen) eigentlich gar nicht so groß war, wie er, Quintzi, immer gedacht hatte. Er griff nach der Statue, die seltsam nackt wirkte, nahm sie dem Zeremonienmeister, der den Mund nicht mehr zubekam, aus der Hand und jetzt – jetzt fiel ihm zum ersten Mal auf, daß die Festgemeinde in fassungsloses Schweigen versunken war.
    Da packte ihn das Entsetzen. Die Rede! Natürlich, er mußte ein paar Worte des Dankes sprechen! Jetzt gleich! Vor all diesen enorm wichtigen Leuten von der Auguralakademie. Seine Kehle war staubtrocken, seine Knie, so fürchtete er, würden in der nächsten Sekunde nachgeben.
    »Äh … hmmm … Damen und …« Weiter kam er nicht.
    In der ersten Reihe schrie eine große Dame der gehobenen Gesellschaft gellend auf, zeigte mit offenem Mund auf ihn und fiel schwungvoll in Ohnmacht. Erst jetzt bemerkt Quintzi Cohatl zu seinem Entsetzen, daß er außer dem kleinen Badetuch, das er sich in der Eile um die faltige Taille gewickelt hatte, nichts am Leib trug. Das Blut schoß ihm ins Gesicht, impulsiv legte er ein Bein über das andere und suchte verzweifelt irgend etwas, hinter dem er sich verstecken konnte. Und so, als hätte der Schrei der Frau als Katalysator gewirkt, brach jetzt ein tumultuarisches Geschrei los, der Tempel verwandelte sich in ein Chaos aus anklagend fuchtelnden Zeigefingern.
    Quintzis Zeigefinger sausten wie der Blitz hinauf zu den Brustwarzen und versuchten die Nacktheit seiner bloßen Brust zu bedecken. Zu spät, der Schaden war nicht mehr zu beheben. Er hatte getan, was als die schwerste aller denkbaren Beleidigungen galt: Er hatte – in aller Öffentlichkeit – seine Brustwarzen gezeigt und damit der jahrhundertealten, geheiligten axolotischen Prophetentradition einen tödlichen Schlag versetzt. Er hatte die prophetische Zunft an ihre Schwäche erinnert, an ihre Bedeutungslosigkeit, an ihr radikales Unvermögen, Antwort zu finden auf jene Große Frage, auf die es keine Antwort gibt: Warum haben Männer Brustwarzen?
    Wie weit sie auch in die Zukunft geschaut und geblickt hatten, wie tief sie sich auch in uralte Schriften versenkt hatten, nie waren die Axolotischen Propheten der Lösung des Problems auf weniger als zehn Meilen näher gekommen, nie hatten sie etwas gefunden, das einer Antwort auf diese Frage auch nur im entferntesten ähnlich gewesen wäre.
    Unzählige rechtschaffen empörte Axolotianer sprangen von den Sitzen auf und rumpelten auf den halbnackten Frevler los, der zitternd auf der Hauptbühne stand. Tehzo Khonna schüttelte den Kopf und brach in Tränen aus. Das war das Ende seiner Karriere. Wie konnte ihm einer seiner Gäste so etwas antun?
    Da flog plötzlich eine Tür auf, und ein über und über mit Asche bedeckter Mann stürmte schreiend auf das Hauptpodium zu, hatte mit ein, zwei gewaltigen Sätzen die Stufen erklommen und fuchtelte wild mit den Händen.
    »Ruhe!« schrie er und riß dem konsternierten Quintzi den Preis aus der Hand. »Der steht dir nicht zu! Genausowenig wie es dir zusteht, dich Prophet zu nennen!«
    Quintzi bebte. War es jetzt soweit? Kam jetzt die Wahrheit ans Licht? Die Wahrheit, daß er nicht zum Sehen geboren und nie im Leben zum Schauen bestellt gewesen war?
    Verächtliche Blicke schossen links

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