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Die Nanowichte

Die Nanowichte

Titel: Die Nanowichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Harman
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Indikatoren von schicksalsschwerer Bedeutungsfülle, waren wesentliche Hinweisgeber, die alle denkbare Gefahr anzeigten, die den drei Avocadoscheuern unter seiner seherischen Schutzherrschaft drohen konnten. Quintzi brauchte jetzt nur noch die Botschaft zu entschlüsseln, und schon war die Sicherheit des städtischen Avocadovorrats für die nächsten Monate gewährleistet. Mehr wollte man gar nicht von ihm. Aber genau das war eben das Problem.
    »Also?« hatte Miesly geknurrt, wie er immer knurrte. »Was soll das jetzt heißen?«
    »Äh … ich …«, stotterte Quintzi und starrte auf das nichtssagende Omen. »Äh … ja also …« Er lag in der Hängematte und litt. Schweiß stand ihm auf der Stirn, glitzerte wie dünn aufgetragener Firnis.
    Wie gern hätte er jetzt die Arme hochgerissen und den Tisch umgeworfen, wie gern wäre er ein für allemal aus dem Gebäude der Gesellschaft für Obsteinlagerung gerannt. Seit vierzig Jahren war ihm danach, aber noch jedesmal hatte er diesen übermächtigen Drang wieder unterdrückt. Denn wenn er tatsächlich mit der Wahrheit herausrücken und beichten würde, daß seine seherische Scharfsichtigkeit etwa der der gemeinen kurzsichtigen Kellerassel entsprach, dann würde man ihn ächten und verstoßen. Und wahrscheinlich würden ihn jene, die diese Gabe wirklich besaßen, zu Brei schlagen.
    Zugegeben, seine prophetische Weitsicht reichte nicht einmal aus, um auch nur eine Minute in die Zukunft vorauszusehen. Na und? Noch war ihm keiner draufgekommen. Denn eines konnte er ganz ausgezeichnet: lügen, daß sich die Balken bogen. Er hatte es vierzig Jahre lang geübt. Tag für Tag. Und vierzig Jahre tägliches Training – damit konnte man eine Fähigkeit durchaus zur Höchstform ausbilden. Vor allen Dingen dann, wenn man unbedingt einen Job brauchte. Im Traum atmete er tief durch, kuppelte das Gehirn aus und legte los, so energisch und überzeugend, wie er es eben fertigbrachte.
    »Die Dreiergruppe hier deutet auf die sich verdichtende und zunehmende Wahrscheinlichkeit einer Rekordernte hin und führt in Verbindung mit dem ansteigenden Oberschenkelknochen, welcher, da es sich um den Oberschenkelknochen eines Ozelots handelt, die Kunstfertigkeit des Jägers auf das Szenario überträgt, zur Verifikation einer Tendenz zum Exzeptionellen. Die Schädel, die wir hier sehen, weisen auf eine sich ergebende Entscheidungsnotwendigkeit oder Unschlüssigkeit hin, und mit einem Beckenknochen wie dem da assoziiert man für gewöhnlich … äh … Geburt.« Er beendete seine Ausführungen und sah dem wutschnaubenden Miesly ins Gesicht.
    »Und was soll das bitte schön heißen, hä? In schlichtem, allgemeinverständlichem Axolotisch?«
    »Äh … wird ein gutes Jahr für Avocados.« Quintzi grinste kläglich. Wenn es nach ihm ging, bedeutete alles ein gutes Jahr für Avocados. Ein schlechtes Jahr zu prophezeien, hätte den Rausschmiß bedeutet. »Und Eure Glücksfarbe für diese Woche ist Grün«, ergänzte er noch.
    Miesly war mit einem Satz bei ihm gewesen, hatte blitzschnell den Ärmel zurückgestreift, hatte ihm die Hand in den Mund gestoßen und ihn hart und erbarmungslos an den Backenzähnen gepackt. »Ich hoffe für dich, daß das stimmt!« hatte er verächtlich gefaucht, dabei den Kopf des Prognostikers rücksichtslos hin und her gerissen und nach jedem Konsonanten durch qualvolles Hebeln an den altersschwachen Zähnen eine höllisch schmerzhafte Zäsur gesetzt. »Sollte uns die Prämie durch die Lappen gehen, mußt du dir einiges einfallen lassen!«
    »Arrrrgh!« hatte Quintzi gegen Mieslys Hand angegrunzt und inständig gehofft, daß Blutentnahme, vorgenommen an einem vorgesetzten Beamten, nicht auch ein Vergehen war, das Rausschmiß zur Folge hatte. Oh, könnten seine Kinnbacken einmal nur zuschnappen, ein einziges Mal nur …!
    »Mbwii könnbbe i eu eee belüübem?« hatte Quintzi, den Mund voller Unterarm, unterwürfig gekuscht.
    »Was?«
    »Wie könnte ich Euch je belügen?« hatte er gekrächzt, nachdem seine Mahlzähne wieder frei waren.
    Miesly hatte noch diverse lästerliche Flüche ausgestoßen, hatte ihn ein letztes Mal böse angefunkelt und war dann davongestiefelt – zum Ressortleiter ›Melonen‹, um sich die nächste Vorhersage in Sachen Obsteinlagerung anzuhören.
    Der schlafende Quintzi, der keine Ahnung hatte, wie spät es bereits war, rieb sich die Wange und schmiedete wilde, aberwitzige Rachepläne. Eines Tages wollte er es diesem Miesly, diesem Schwein, schon noch

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