Die Nanowichte
seinesgleichen verhöhnt und von jedermann verachtet, hatte er dieses Erlebnis immer nur simuliert; seit damals, als er, drei Wochen nach seinem achtzehnten Geburtstag, auf dem Hauptplatz der Stadt schreiend und den Kopf krampfhaft umklammernd zusammengebrochen war, als ihm die Axolotianer zu Tausenden zugesehen und ihm begeistert applaudiert hatten. Drei Tage lang hatte die Begeisterung angehalten, gelogen hatte er auch weiterhin, sein ganzes Leben lang. Und jetzt sah es ganz so aus, als sei ihm Miesly auf die Schliche gekommen.
Plötzlich dröhnte ein Trommelfeuer wild ratternder Fingerknöchel gegen die Tür.
»Huhu!« rief es plump-vertraulich durch den Türspalt. »Hallo! Ich weiß, daß Sie da drin sind.«
»Weg da!« schrie Quintzi und sprang so schnell von der Tür zurück, als stünde sie unter Starkstrom. »Lassen Sie mich in Ruhe!«
»Also, das ist nun aber wirklich nicht nett!«
»Soll’s auch nicht sein! Mir ist nicht nach Nettsein!«
»Verstehe. Würde mich auch nicht grade heiter stimmen, wenn ich es so scheußlich verbockt hätte … äh … so unglücklich, meine ich …«
»Hau’n Sie ab!«
»… und auch noch in aller Öffentlichkeit!«
Quintzi schrie irgend etwas, das sogar Tiemecx die Schamröte ins Gesicht trieb.
»Hören Sie, ich kann ja verstehen, daß Sie ein bißchen mißgestimmt sind wegen der Art und Weise, wie sich der heutige Tag gestaltet. Aber das soll sich jetzt alles ändern. Und ich werde Ihnen zeigen, wie das möglich ist.«
»Sie sollen mich in Ruhe lassen!« schrie Quintzi und trommelte wie ein Wahnsinniger mit den Fäusten auf den Boden.
»Ich fürchte, das kann ich nicht. Das wäre nicht anständig. Gerade jetzt nicht. Ich hätte keine ruhige Minute mehr, wenn ich mir vorwerfen müßte, ich hätte nicht alles versucht, daß Sie mir ein paar Minuten ihrer Zeit schenken, um Ihnen zu zeigen, daß Sie am Anfang einer rosigen Zukunft stehen, wenn Sie …«
Das Gebot der Schicklichkeit und die Angst vor Zensur verbieten es, die von Quintzi abgegebenen Kommentare, zu deren Formulierung er sich einer über alle Maßen säuischen Diktion befleißigte, an dieser Stelle wiederzugeben.
»Es wird Ihnen ewig leid tun, wenn Sie sich jetzt abwenden und weggehen«, säuselte der Vertreter und zupfte an einer Haarsträhne, die ihm in die Augen hing.
»Ich will aber nicht«, lehnte Quintzi ab – mit fest zusammengebissenen Zähnen und durch eine nicht sehr viel weiter geöffnete Tür.
»O doch, das wollen Sie.«
»O nein, will ich nicht …«
»Was soll das? Ist das jetzt eine Sprechprobe für eine Pantomime?« unterbrach der kitteltragende Vertreter den Dialog.
»Nein!« schrie Quintzi.
»Hört sich aber so an.«
»Tut es nicht!«
»O doch, das tu …«
»Maul halten! Maul halten! Maul halten!«
Ein paar Augenblicke lang, wenige Augenblicke nur, tauchte das Quellwasser des Schweigens Quintzis von der Angst zerfressene, zerrüttete Nerven in ein kühlendes Bad. Der Streß floß munter davon, floß hinein in den tiefen, spiegelnden Teich der friedvollen Stille und löste sich so wirkungsvoll, wie sich Schuppen in einem Kräuterschaumbad mit ausgeglichenem pH-Wert lösen …
»Wie wär’s, wenn ich einfach mal reinkommen und Ihnen zeigen würde, was … äh …?«
Quintzi schrie – der plötzliche Lärm hätte ihn beinahe umgeworfen. »Laß mich in Ruhe!«
»Können Sie wirklich sicher sein, daß das, was ich anzubieten habe, Ihr Leben nicht ganz gewaltig verbessern würde? Können Sie das tatsächlich? Hand aufs Herz, hmmm?«
»Wollen Sie mir denn nicht endlich meine Ruhe lassen, bitte?« winselte Quintzi jämmerlich.
»Nein, mein Herr«, rief der Vertreter begeistert, der plötzlich witterte, wo sich möglicherweise der wunde Punkt in Quintzis Abwehrpanzer befand; der jetzt auf einmal spürte, daß die Chance, schon bald eine hübsche, fette Provision einstreichen zu können, in greifbare Nähe gerückt war. »Ich würde mich eines Verbrechens schuldig machen, wenn ich das täte. Sehen Sie, ich könnte mir selbst nicht mehr in die Augen blicken, wenn ich wüßte, ich hätte zugelassen, daß Sie so weiterleben, wie Sie augenblicklich leben; wenn ich mir sagen müßte, daß es nur eines um ein weniges beharrlicheren Auftretens meinerseits bedurft hätte, um Ihnen das neueste, absolut fehlerfrei arbeitende und hochauflösende Entwicklungsprodukt der Vorhersagetechnologie zukommen zu lassen. Und das zu einem einzigartigen Preis plus Lieferung frei Haus.«
Quintzi
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