Die Naschmarkt-Morde
nicht viel ein. Er nahm die Karte, drehte sie um und las:
Lieber Franci!
Im Zuge meiner Reisetätigkeit bin ich nun in Plymouth, Großbritannien, angelangt. Hier hab ich entschieden, daß mir Good Old Europe auf Dauer doch ein bisserl fad wird. Die neue Welt – insbesondere Mexico – scheint mir da mehr Möglichkeiten zu bieten. Deshalb hab ich gestern ein Ticket für eine Schiffspassage erstanden. Morgen geht es los! Mit der City of Birmingham – einem veritablen Luxusliner. Hoffe, Dir geht es gut! Laß bitte daheim alle lieb grüßen.
Dein
Aloysius
Diese Unverfrorenheit überraschte auch den Inspector. Nun konnte er Borowicz’ Echauffiertheit besser verstehen. Dieser betonte, dass er mit der Ansichtskarte ein wichtiges Beweisstück für die Verfolgung eines gesuchten Verbrechers der Polizei übergeben hätte. Damit sei er seiner Pflicht als aufrechter Staatsbürger und Untertan seiner apostolischen Majestät nachgekommen. Als Nechyba dieses korrekte Verhalten lobte, strahlte Borowicz, erhob sich, wünschte einen schönen Tag und stolzierte davon. Nechyba aß nun in Ruhe sein Butterbrot und die Eier auf, bestellte noch einen doppelten Mokka sowie einen Cognac und widmete sich dem Studium der Zeitung. Es gelang ihm aber nicht, sich so richtig auf das Lesen zu konzentrieren. Seine Gedanken schweiften immer wieder ab. Vor seinem geistigen Auge sah er den Vierfachmörder am Sonnendeck des Luxusdampfers faulenzen und sich auf ein neues, nicht so fades Leben in Mexico freuen. Diese Vorstellung erboste Nechyba. Verärgert legte er die Zeitung zur Seite, lehnte sich zurück, schloss die Augen und genoss die herbstlichen Sonnenstrahlen.
Da schoss ihm plötzlich ein Gedanke durch den Kopf, der ihm die ärgerliche Geschichte in einem neuen, erträglicheren Licht erscheinen ließ: Mexico war nicht unbedingt ein gutes Pflaster für adelige Europäer. Eine Erfahrung, die schon der Bruder seiner apostolischen Majestät, der Erzherzog Ferdinand Maximilian, gemacht hatte 89 . Vielleicht ging es da drüben dem Schönthal-Schrattenbach ebenfalls an den Kragen? Wer weiß? Ein Umstand, der im Bereich des Möglichen lag. Schließlich hatte er die Nachricht von Graf Borowicz erfahren. Einem Mann, dem der Ruf eines veritablen Unglücksbringers vorauseilte …
E N D E
Glossar der Wiener Ausdrücke
ang’fressen verärgert, frustriert
Bassena Am Gang befindlicher Wasserleitungshahn mit Becken
Beisl Kneipe, Gasthaus
Brandineser Branntweinkneipe
Brimsen streichfähiger Frischkäse aus Schafsmilch
Erdäpfel Kartoffeln
Fadesse gelangweilte Laune
Fleischer/Fleischhauer Metzger
Fratschlerin Marktfrau
Frnak Nase
Germknödel mit Powidl gefüllter Hefekloß
Greislerei Tante-Emma-Laden
Gretzl nahe Umgebung, städtisches Viertel
gschert/Gscherte vom Land (nur beleidigend!)
Gschloder schlecht schmeckende Flüssigkeit
Gugelhupf Mehlspeise bzw. Narrenturm
Habe die Ehre! Altwiener Gruß bzw. Ausruf der Verwunderung
Jessasmarandjosef Ausruf der Bestürzung
Jourgebäck Kleinstgebäck
Kaisersemmerl Brötchen
Kiberer Kriminalbeamter, Polizeiagent
Krakauer Schinkenwurst
Krapfen Schmalzgebäck
Krügel großes, offenes Bier
Lavoir Waschschüssel
Malakofftorte Torte mit rumgetränkten Biskotten und Schlagsahne
Marille Aprikose
Marqueur Zahlkellner in einem Billardcafé
Marmelade Konfitüre
Menagereindl verschließbares Metallgeschirr
Pamperletsch Kind
Pogatscherln Hefeteig-Brötchen mit Grieben
Powidl Zwetschkenkonfitüre
Prater Wiener Erholungs- und Grüngebiet samt Vergnügungspark
Rotzbub Rotzlöffel
Salettl Gartenhaus
Schmäh/Schmäh führen Aufschneiderei/sich mit jemandem
unterhalten
Seiterl/Seitl kleines, offenes Bier
speiben kotzen
Treberner Tresterbrand (Grappa)
Tratsch/tratschen Rederei/üble Nachrede/reden, plaudern
Topfen Quark
Trafik Tabakwarenladen
Tröpferlbad öffentliches Brausebad
Tschapperl Kind/hilfloser Mensch
Wachauerlaberl Brötchen mit Kümmel
wurscht egal
Zund Hinweis, Tipp
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