Die Nebel von Avalon
Echo von Lancelots Stimme klang, sagte freundlich: »Bei den Sachsen gibt es Dichter und Musiker ebenso wie Krieger, meine Herrin.« Gwenhwyfar drehte sich um. Undeutlich nahm sie einen jungen, schlanken Mann mit dunklen Haaren und dunkler Kleidung wahr. Aber die Stimme, mit der weichen Betonung eines Mannes aus dem Norden, klang genau wie Lancelots Stimme.
Artus winkte ihn mit einer Geste näher. »An meiner Tafel sitzt ein Gast, den ich nicht kenne… noch dazu bei einem Familienfest. Das ist nicht recht… Königin Morgause…«
Morgause erhob sich. »Mein König, ich wollte ihn Euch vorstellen, ehe wir zu Tisch gingen, aber Ihr hattet Euch zu sehr in Gespräche mit Euren alten Freunden vertieft. Dies ist Morgaines Sohn, der an meinem Hof aufwuchs… Gwydion.«
Der junge Mann trat vor und verneigte sich. »König Artus«, sagte er mit der wohlklingenden Stimme, die wie das Echo von Lancelots Stimme war. Einen Augenblick lang überflutete Gwenhwyfar unsägliche Freude. Er war sicher Lancelots Sohn, nicht der von Artus… dann fiel ihr wieder ein, daß Viviane, Morgaines Tante, auch Lancelots Mutter gewesen war.
Artus umarmte den jungen Mann. Mit zitternder Stimme sagte er kaum hörbar: »Der Sohn meiner teuren und geliebten Schwester soll wie ein Sohn an meinem Hof aufgenommen werden, Gwydion. Komm und setz dich neben mich!«
Gwenhwyfar blickte auf Morgaine. Sie hatte rote Flecken auf den Wangen, so leuchtend rot, als seien sie gemalt. Sie biß sich mit den kleinen scharfen Zähnen auf die Unterlippe. Hatte Morgause sie nicht darauf vorbereitet, daß ihr Sohn seinem Vater vorgestellt werden sollte
– nein, dem König, wies Gwenhwyfar sich scharf zurecht. Es gab keinen Grund anzunehmen, daß der Jüngling ahnte, wer sein Vater war. Selbst wenn er nie in einen Spiegel gesehen hätte, würde er sich für Lancelots Sohn halten, gleichgültig, was man ihm erzählte. Aber ein Jüngling war er längst nicht mehr. Gwydion mußte fast fünfundzwanzig sein – ein Mann.
»Euer Vetter, Galahad«, sagte Artus, und der junge Ritter streckte Morgaines Sohn herzlich die Hand entgegen.
»Ihr steht dem König näher als ich, Vetter… eigentlich habt Ihr das Recht, an meinem Platz zu sitzen«, erklärte er mit großer Offenheit.
»Ich wundere mich, daß Ihr mich nicht haßt.«
Gwydion entgegnete lächelnd: »Woher wißt Ihr, daß ich das nicht tue, Vetter?«
Gwenhwyfar fuhr erschreckt auf, aber dann sah sie sein Lächeln. O ja, er war Morgaines Sohn. Er lächelte ebenso katzenhaft, wie sie es manchmal tat. Galahad überlegte etwas verwirrt und entschied dann, das Ganze sei ein Spaß. Gwenhwyfar konnte Galahads Gedanken lesen:
Ist er der Sohn meines Vaters? Ist Gwydion mein Bastardbruder, den die Königin Morgaine geboren hat?
Gleichzeitig wirkte er verletzt – wie ein kleiner Hund, dessen freundliche Zuneigung zurückgewiesen worden war.
»Nein, Vetter«, erklärte Gwydion. »Was Ihr denkt, stimmt nicht.«
Gwenhwyfar stockte der Atem. Er hatte selbst Lancelots unvermitteltes, entwaffnendes Lächeln, das sein düsteres und ernstes Gesicht unvergleichlich aufstrahlen ließ, als habe die Sonne es liebkost. Galahad verteidigte sich: »Ich habe nicht… ich habe nicht…«
»Nein«, erwiderte Gwydion freundlich.
»Gesagt
habt Ihr nichts. Aber es ist zu offensichtlich, was Ihr und jeder andere hier denken muß.« Er hob die Stimme kaum merklich – diese Stimme, die so sehr Lancelots Stimme glich, obwohl der weiche Tonfall den Mann aus dem Norden verriet. »Wir in Avalon, Vetter, richten uns bei der Erbfolge nach der Mutter. Ich entstamme dem alten königlichen Geschlecht, und das genügt mir völlig. Es wäre Anmaßung, wenn irgendein Mann behaupten wollte, Vater eines Kindes der Hohepriesterin von Avalon zu sein. Aber natürlich wüßte ich gerne, wie die meisten Menschen, wer mich gezeugt hat. Und was Ihr dachtet, habe ich schon öfter gehört… ich sei Ritter Lancelots Sohn. Diese Ähnlichkeit hat man schon früher festgestellt… besonders bei den Sachsen. Ich lebte drei Jahre bei ihnen und lernte dort das Kriegshandwerk«, fügte er hinzu. »Man erinnert sich dort noch gut an Euch, edler Lancelot! Ich kann nicht aufzählen, wieviele Männer mir sagten, es sei keine Schande, der Bastardsohn eines Mannes, wie Ihr einer seid, zu sein!« Sein leises Lachen war wie das gespenstische Echo des Mannes vor ihm. Und auch Lancelot schien sich in seiner Haut nicht ganz wohl zu fühlen. »Aber am Ende mußte ich ihnen immer
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