Die Nebel von Avalon
ihre Aufgabe gebot, sondern weil das Verlangen sie dazu trieb.
Kann ich den Zauber wirken, ohne mich selbst in den Abgrund zu reißen?
»Ich habe Euch auf dem Fest der Königin vermißt«, murmelte der Merlin und sah Nimue in die Augen. »Ich hatte ein neues Lied für Euch gemacht… Es war Vollmond. Und der Mond besitzt große Macht, Herrin…«
Sie blickte ihn mit großen Augen an. »Wirklich? Ich weiß so wenig von solchen Dingen… seid Ihr ein Zauberer, Ehrwürdiger Merlin? Manchmal fühle ich mich hilflos und glaube, daß Ihr mich verzaubert habt…«
Sie hatte sich beim Vollmond versteckt, da sie wußte, er würde ihre Gedanken lesen und vielleicht ihre Absichten erraten, wenn er in ihre Augen blickte. Jetzt hatte die magische Flut ihre Kraft verloren, und sie konnte sich vielleicht vor ihm schützen.
»Ihr müßt mir Euer Lied vorsingen.« Nimue hörte ihm zu und spürte, wie ihr Körper vibrierte wie die Saiten der Harfe unter seiner Berührung.
Ich ertrage es nicht. Ich ertrage es nicht… diesmal muß ich handeln, sobald der Mond sich verbirgt.
Nimue wußte, sie würde dem Ansturm einer neuen Flut erliegen. Der Hunger und das Verlangen, das sie schürte, wuchs…
Ich wäre nie fähig, ihn zu verraten… ich wäre für immer sein… in diesem Leben und darüber hinaus…
Sie berührte seine verdrehten und geschwollenen Handgelenke. Die Berührung ließ sie erzittern. Seine Pupillen weiteten sich, und er holte tief Luft… daran erkannte sie, was der Merlin empfinden mußte.
Verrat,
dachte sie,
wird nach den unentrinnbaren Gesetzen des Schicksals tausendfach von der Göttin bestraft… Leben um Leben. Die Verräterin und der Verratene werden für Tausende von Jahren in Liebe und Haß aneinander gebunden sein. Aber ich handele auf Befehl der Göttin. Man hat mich gesandt, um einen Verräter für seinen Verrat zu bestrafen… werde ich dafür büßen müssen? Wenn das so ist, dann gibt es selbst bei den Göttern keine Gerechtigkeit… Christus sagte, die aufrichtige Reue löscht alle Sünden aus…
Aber das Schicksal und die Gesetze des Universums lassen sich nicht so leicht beiseite schieben. Die Sterne unterbrechen nicht ihren Lauf, nur weil jemand ihnen zuruft:
Halt!
Dann sollte es also geschehen. Vielleicht verriet sie den Merlin wegen einer Tat, die einer von ihnen begangen hatte, ehe das Alte Land im Meer versank. Es war ihr Schicksal, und sie wagte nicht, sich dagegen aufzulehnen. Kevin hatte aufgehört zu spielen und griff zärtlich
nach ihrer Hand. Wie betäubt berührte sie seinen Mund mit ihren Lippen.
Jetzt, jetzt ist es zur Umkehr zu spät.
Nein, es war bereits zu spät gewesen, als sie den Kopf senkte und die Aufgabe annahm, die Morgaine ihr übertrug. Es war bereits zu spät gewesen, als sie den Eid auf Avalon ablegte…
»Erzählt mir mehr über Euch«, flüsterte sie. »Ich möchte alles über Euch wissen, mein Gebieter…«
»So dürft Ihr mich nicht nennen, mein Name ist Kevin.«
»Kevin«, sagte sie leise und zärtlich. Sie fuhr ihm dabei sanft mit den Fingerspitzen über den Arm. Tag um Tag wob sie ihren Zauber mit Berührungen, Blicken und geflüsterten Worten, und der Mond nahm ab. Nach diesem ersten, flüchtigen Kuß zog sie sich wieder zurück, als habe er sie erschreckt.
Das ist wahr. Aber es liegt mehr daran, daß ich vor mir selbst erschrocken bin…
Niemals, niemals hatte sie in all den Jahren der Abgeschiedenheit geglaubt, zu solcher Leidenschaft, zu solchem Hunger fähig zu sein. Sie wußte, der Zauber verstärkte die Leidenschaft in ihr ebenso wie in ihm. Einmal reizte sie ihn durch ihr Flüstern, durch sanfte Berührungen, durch ihre Haare, die sein Gesicht streiften, als sie sich über ihn beugte, bis zur Unerträglichkeit. Er riß sie an sich, und sie wehrte sich diesmal in echter Furcht.
»Nein… nein, ich kann nicht… du vergißt dich… Ich bitte dich, laß mich…«, rief sie. Und als er sie nur noch enger an sich preßte und ihre Brüste mit Küssen bedeckte, begann sie leise zu weinen.
»Nein, nein, ich fürchte mich, ich fürchte mich…« Kevin ließ sie los und wandte sich benommen ab. Er atmete heftig und schwer, schloß die Augen und ließ die Arme sinken. Nach einer Weile murmelte er: »Mein geliebtes, mein kostbares weißes Vögelein, mein teures Herz… vergib mir… vergib…« Nimue erkannte, sie konnte selbst ihre echte Furcht für ihre Zwecke benutzen. Schluchzend erwiderte sie: »Ich habe dir vertraut, ich habe dir vertraut…«
»Tue es
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