Die Nebelkinder
Graf Chlodomer könnte unser ganzes Volk in Gefahr bringen, Albin. In unseren Händen liegt es, die Gefahr abzuwenden. Deshalb musst du in Mondsee bleiben und Augen und Ohren offen halten.«
»Und du?«
»Ich werde in die Berge zurückkehren und versuchen, etwas über die Umtriebe dieses Rotelbs in Erfahrung zu bringen. Wir werden uns wiedersehen, vielleicht schon bald.«
Findig lief mit Albin zurück in den Küchentrakt, kniete sich vor die Luke zum Weinkeller und bat Albin um den Dolch.
»Willst du durch den Tunnel fliehen, den du gegraben hast?«, fragte Albin.
»Was sonst? Zum Weintrinken fehlt mir leider die Zeit. An den Toren und auf den Dächern stehen Graf
Guntrams Wächter. Schätze, der Graf wird auch den Tunnel bald verschütten lassen. Schade auch.«
»Wie konntest du allein einen so langen Tunnel graben, Findig?«
»Er ist nicht lang, nur ein kurzes Verbindungsstück zu den alten Römergängen unter dem Kloster. Weißt du nicht, dass die Abtei auf den Überresten alter Gebäude aus der Römerzeit steht?«
Mit geschickten Bewegungen sprengte Findig das Schloss auf. Er steckte den Dolch in seinen Gürtel und sah tief in Albins Augen. »Willst du mir helfen, Bruder, und damit deinem ganzen Volk?«
Albin zögerte, noch war Zeit zur Umkehr. Aber Graman verschwieg ihm etwas und Findig hatte ihm Aufklärung versprochen. Außerdem traute er Findig eher als allen Soldaten in der Abtei zu, Graf Chlodomers Mörder zu ergreifen. Albin verstand längst nicht alle Zusammenhänge, aber er spürte, dass die Aufklärung des Mordes wichtig war. Und deshalb sagte er schließlich: »Ja, ich stehe dir bei, Findig.«
»Gut. Hebe die Luke für mich an, und wenn ich unten bin, geh schlafen. Du musst von meiner Flucht ebenso überrascht erscheinen wie alle anderen.«
Albin hob die Luke ein Stück hoch und Findig stieg in die Dunkelheit hinab. Als er die Luke wieder schloss, spürte Albin einen Kloß in seiner Kehle. Plötzlich fühlte er sich unwohl. Falls er doch einen Fehler begangen hatte, war es jetzt zu spät, ihn zu berichtigen.
Er ging in den Schlafsaal und schlich sich möglichst leise zu seinem Lager. Aber er fand keinen Schlaf. Seine Gedanken kreisten um die Nebelkinder, um Findig und den Rotelb, um den toten Grafen Chlodomer und auch um die schöne Gerswind. Albin lag noch wach, als die Glocke zur Mette schlug und die Mönche zu noch nachtschlafender Stunde zum ersten Gebet des Tages rief.
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3.
Schlug die Glocke noch immer? Nein, schon wieder. Irgendwann war Albin doch in einen kurzen, unruhigen Schlaf gefallen. Aber die Glocke war nicht die Ursache für sein Erwachen. In das Läuten mischten sich laute Alarmschreie und die stampfenden Tritte von Soldatenstiefeln. Die Tür des Schlafsaals wurde aufgestoßen und schlug krachend gegen die Wand. Die Knechte der Abtei fuhren von ihren Strohsäcken hoch, murmelten, noch schlaftrunken, verhaltenen Protest und blinzelten verwirrt ins Licht der Fackeln, die von Soldatenhänden gehalten wurden. Das Eisen von Kettenhemden und Waffen kl irrte laut, als die Kriegsmänner von Schlafstatt zu Schlafstatt schritten und die Fackeln so nahe an die Gesichter der Knechte hielten, als wollten sie die so jäh Erwachten versengen.
»Das ist der Kerl«, blies eine Soldatenstimme den strengen Geruch von Fisch und Zwiebeln in Albins Gesicht, und der grelle Fackelschein schmerzte in seinen Augen. Eine starke Hand umklammerte seine Schultern und schüttelte ihn durch. »Wach auf, Kleiner, Graf Guntram will dich sehen, auf der Stelle!«
»Bin schon wach«, brummte Albin und stützte sich auf einen Ellbogen. »Was gibts?«
»Frag nicht, komm mit!« Der Soldat umfasste noch immer Albins Schulter und wollte ihn mit Gewalt hochziehen.
»Ich komm ja schon«, maulte Albin. »Darf ich wenigstens meine Schuhe anziehen?«
»Wenns schnell geht.«
Albin wurde nicht länger von dem Fackellicht geblendet. Er fand seine abgewetzten Lederschuhe, schlüpfte mit den Füßen, die in derben Leinenstrümpfen steckten, hinein, und wickelte die Schnüre geschickt um seine Hosenbeine. Als er in Begleitung der Soldaten den Schlafraum verließ, verfolgten ihn die anderen Knechte mit neugierigen, erleichterten und auch zufriedenen Blicken. Manch einer glaubte wohl, dass der Findling etwas ausgefressen habe und jetzt seine gerechte Strafe erhielt. Vielleicht, dachte Albin, lagen sie da gar nicht so falsch.
Durch die Ritzen der geschlossenen Fensterläden drang noch kein Tageslicht. Die
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