Die Nebelkinder
dachte an Gerswind und das Versprechen, das er ihr gegeben hatte.
Plötzlich war die Last von ihm genommen. Der Mischler sackte neben ihm zusammen, ein Dolch in seinem Rücken. Rohon, dem der Dolch gehörte, starrte den Mischler verächdich an.
»Aber ... ich hatte Waldo mein Wort gegeben!«, protestierte Albin, als er sich schwankend erhob.
»Ich nicht«, sagte der Rotelb. »Glaubst du, ich habe all die Mühen auf mich genommen, damit der beste und klügste König, den das Elbenvolk seit Alwis hatte, von solch einem da getötet wird?«
Findig trat herbei. »Rohon hat Recht. Du bist klug, aber du musst noch viel lernen, Albin. Auch, dass ein König zuallererst an sein Volk zu denken hat. Die Nebelkinder brauchen den König Albin. Und deshalb darfst du dein Leben nicht sinnlos aufs Spiel setzen!«
Zweifelnd sah Albin auf Waldo hinab. »Fast tut er mir Leid. Es muss schlimm sein, etwas zu suchen, das man nie finden kann.«
»Ich dachte, ich sei für die klugen Sprüche zuständig«, sagte Findig. »Jetzt aber los! Wir sollten zusehen, dass wir die anderen einholen. Ich glaube, ein gewisser König hat noch nicht viel von seiner Hochzeitsnacht gehabt.«
Gegen Mittag waren alle Uberlebenden aus dem Geröll befreit. Auch einige Nebelkinder waren von der Lawine mitgerissen worden. Aber die Zahl der toten Elben war gering im Vergleich zu dem, was der heute errungene Sieg für das Volk der Nebel kinder bedeutete. Daher gab Albin den Befehl zum Aufbruch frohen Herzens.
Er ging der Kolonne mit weit ausholenden Schritten voran, denn jeder Schritt brachte ihn Gerswind näher. Noch immer kam es ihm wie ein Traum vor, dass sie seine Gemahlin war. Er wollte sie umarmen, sie ganz nah bei sich spüren. Vielleicht war es Schicksal gewesen, dass sie zueinander gefunden hatten. Vielleicht sollten sie den Beweis erbringen, dass Menschen und Elben, Angehörige unterschiedlicher Völker und Rassen, in Liebe und durch die Liebe vereint, in Eintracht miteinander leben konnten.
Und so verließen die Nebelkinder das Land am Mondsee, wie sie schon viele andere Länder verlassen hatten auf der Suche nach einem Ort, wo sie in Frieden leben konnten. Von ihnen blieben nur die Geschichten von Elben und Zwergen, von verborgenen Schätzen und geheimem Zauber. Dass es sie wirklieh einmal gegeben hat, wurde vergessen, wie auch die Untaten Manegolds und Wenrichs in Vergessenheit gerieten. Um die Schande von der Abtei zu nehmen, wurden die Namen der beiden in späteren Jahren aus den Annalen des Klosters getilgt. Mit dem Verräter Manegold starb auch sein Verrat: Die Hoffnung König Rudolfs von Hochburgund auf einen Krieg zwischen den Ost- und den Westfranken erfüllte sich nicht. Die Mächtigen tilgten die Spuren ihrer düsteren Machenschaften so gewissenhaft, dass man fast glauben könnte, die Abenteuer Albins und Findigs hätten niemals stattgefunden. Doch an kalten Abenden, wenn der Nebel besonders dicht aus dem Mondsee hervorkriecht, weiß der eine oder andere noch heute von den Nebelkindern zu erzählen und von ihrer abenteuerlichen Suche nach einer neuen Heimat.
Worterklärungen
Barschalk: ursprünglich ein Freier, der auf klostereigenem Land lebt, rechtlich zunehmend einem Leibeigenen gleichgestellt
Cacilia: Heilige, der am 22. November gedacht wird
Cellarius: für die Beschaffung und Zubereitung der Speisen zuständiger Mönch
Domintus: »Herr« - Anrede für den Abt
Dormitorium: Schlafsaal
Fuß: Längenmaß, ungefähr 30 Zentimeter
Gereon: Heiliger, dem am 10. Oktober gedacht wird
Hospitarius: Mönch, dem die Sorge für die Gäste obliegt
Inßrmarius: Mönch, dem die Sorge für die Kranken obliegt
Komplet: Nachtgebet, das vor dem Schlafengehen gesprochen wird
Laudes: Morgengottesdienst, der bei Anbruch der Dämmerung endet
Loki: nordischer Gott, stets zu üblen Streichen und Bosheiten aufgelegt
Medicus: Arzt
Meile: alte germanische Meile, nach Zeit und Ort verschieden, zwischen 750 und 900 Meter lang
Mette: Nachtgottesdienst, der ungefähr zwei bis drei Stunden nach Mitternacht gehalten wird
Nonns: »ehrwürdiger Vater« - Anrede für einen älteren Mönch
Novize: »Neuling« -junger Mönch in der Probezeit
Odin: nordischer Göttervater
Refektorium: Speisesaal
Silberpfennig: seit Karl dem Großen gebräuchliche Münze
Terz: Gebet zur dritten Stunde des Tages, gegen 9.00 Uhr
Veitstanz: Krankheit, die zu ruckartigen Muskelzuckungen und Sprachstörungen führt
Vesper: Abendgottesdienst, der bei Einbruch der
Weitere Kostenlose Bücher