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Die Nebelkinder

Die Nebelkinder

Titel: Die Nebelkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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Glocke, deren voll tönende, durchdringende Stimme allmählich verhallte, hatte die Mönche zu den Laudes gerufen, den morgendlichen Lobgesängen, die mit dem Anbruch der Dämmerung enden würden. Albin bekam keinen der frommen Brüder zu Gesicht. Die Soldaten führten ihn schnurstracks zur offenen Kellerluke und stiegen mit ihm hinab in die Tiefe. Unten wurden sie von weiteren Bewaffneten erwartet, darunter Graf Guntram und einem edel gekleideten Herrn mit auffällig schmalem Gesicht: Wenrich, der Vogt von Mondsee. In seinen Händen lagen alle weldichen Angelegenheiten, die das Kloster und die dazugehörigen Ländereien betrafen. Er hatte auf den Kirchengütern für Ordnung zu sorgen und in Streitfällen über die dort lebenden Menschen Gericht zu halten.
    »Er ist hier durch«, sagte Guntram zu Albin.
    »Wer?«, stammelte Albin hastig, als ihm einfiel, dass er sich ohne diese Frage verdächtig machte.
    »Der Zwerg, den wir entdeckt haben. Er konnte aus dem Brennholzverschlag fliehen. Allerdings nicht ohne fremde Hilfe.«
    »Und ... wer hat ihm geholfen?«, fragte Albin vorsichtig, darauf bedacht, sich nicht durch ein falsches Wort zu verraten.
    Guntram verzog das Gesicht zu einer säuerlichen Grimasse. »Wenn wir das nur wüssten!«
    Wenrich trat Albin entgegen und musterte ihn streng. »Mag sein, es war dieser Rothaarige, den du im Refektorium gesehen haben willst, Knecht. Mag sein, er hielt sich noch auf dem Gelände der Abtei versteckt. Mag sein, er hat seinen Spießgesellen befreit und ist mit ihm zusammen entflohen.«
    »Mag sein?«, wiederholte Albin. »Du bist nicht überzeugt, Vogt?«
    »Nein, bin ich nicht«, sagte Wenrich scharf. »Bis jetzt bist du der Einzige, der den Rotschopf gesehen hat. Oder soll ich sagen, gesehen haben will?«
    »Dein Eifer in Ehren, Vogt Wenrich, aber wir haben jetzt Wichtigeres zu tun«, mischte sich Guntram ein. »Ich habe den Burschen nicht holen lassen, um ihn mit Verdächtigungen zu überhäufen. Er soll uns helfen, den Entflohenen - oder vielleicht auch die Entflohenen - aufzuspüren.«
    »Und wie soll ihm das gelingen, Graf?«
    König Arnulfs Gesandter zeigte auf die Apfelweinfässer, zwischen denen ein dunkles Loch in der Kellerwand klaffte. »Dort ist der Zwerg durch. Die Wache wurde lange vor der Mette überfallen, was bedeutet, dass der Flüchding die Abtei längst verlassen haben dürfte. Um ihn aufzuspüren, müssen wir wenigstens seinen Fluchtweg kennen. Das Loch ist zu eng für einen ausgewachsenen Mann. Aber du, Albin, müsstest hindurchpassen. Nimm eine Fackel mit. Wenn du aus dem unterirdischen Gang ins Freie trittst, werden meine Männer dein Licht erspähen.«
    Ein eigenartiges Gefühl beschlich Albin, als er sich, eine Fackel in der Rechten, durch das Loch zwängte. Sollte er wirklich dabei helfen, den Elb aufzuspüren, den er eigenhändig befreit hatte? Aber wenn er sich weigerte, zog er das Misstrauen der hohen Herren auf sich. Es war seltsam, dass er Fin- ' dig, den er erst seit kurzem kannte, so sehr vertraute. Seltsam, aber so war es nun einmal. Es war eine Sache des Gefühls, nicht der Überlegung. Vielleicht hatte Findig ihn angelogen und steckte mit Graf Chlodomers Mörder unter einer Decke, doch das glaubte Albin nicht. Vielmehr nahm er an, dass mit Findig zum ersten Mal in seinem Leben jemand aufrichtig zu ihm gewesen war. Aufrichtiger noch als Graman, der mehr über Albins Herkunft zu wissen schien, als er seinem Zögling anvertraut hatte.
    Also kroch Albin Stück für Stück voran, bis seine Hände plötzlich den Halt verloren. Er rutschte nach vorn und die Fackel entgilt seiner Hand. Er sah sich schon, als Strafe für Findigs Befreiung, in den Schlund der Hölle stürzen. Aber er fiel nur ein kurzes Stück, dann lag er bäuchlings auf festem Boden, neben sich die Fackel, die seine Wange mit heißem Atem streifte. Er nahm sie wieder an sich und richtete sich langsam auf. Ja, er konnte tatsächlich aufrecht stehen!
    Das enge Loch - der kurze Verbindungstunnel, den Findig gegraben hatte - war einem weitaus geräumigeren Gang gewichen. Das rötliche Fackellicht fiel auf gleichmäßig behauenen Stein an beiden Wänden. Vermutlich war es einer der Römergänge, von denen Findig gesprochen hatte. Aber in welche Richtung sollte er jetzt gehen? Einen Ausgang suchen musste er, wollte er hier unten nicht verdursten und verhungern. Er hielt die Fackel dicht über den Boden und entdeckte endlich die Spuren kleiner Füße, deutlich sichtbar im Staub von

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