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Die netten Nachbarn

Die netten Nachbarn

Titel: Die netten Nachbarn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ephraim Kishon
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Mami und Papi! Amir nicht ohne Mami und Papi lassen! Nicht wegfahren!«
    Das Kind war ein einziges, großes Zittern. Seine Augen schwammen in Tränen, seine Nase tropfte, seine Arme flatterten in hilflosem Schrecken durch die Luft. Er stand unmittelbar vor einem nie wieder gutzumachenden Schock, der kleine Amir. Nein, das durfte nicht geschehen. Wir nahmen ihn in die Arme, wir herzten und kosten ihn. »Mami und Papi fahren nicht weg … warum glaubt Amir, dass Mami und Papi wegfahren … Mami und Papi haben Koffer geholt und nachgeschaut, ob Spielzeug für Amir drin ist … Mami und Papi bleiben zu Hause … immer … ganzes Leben … nie wegfahren … immer nur Amir … nichts als Amir … Europa pfui …«
    Aber diesmal war Amirs seelische Erschütterung schon zu groß. Immer wieder klammerte er sich an mich, in jedem neuen Aufschluchzen lag der Weltschmerz von Generationen. Wir selbst waren nahe daran, in Tränen auszubrechen. Was hatten wir da angerichtet, um Himmels willen? Was ist in uns gefahren, dass wir diese kleine, zarte Kinderseele so brutal verwunden konnten?
    »Steh nicht herum wie ein Idiot!«, ermahnte mich meine Frau. »Bring ihm einen Kaugummi!«
    Amirs Schluchzen brach so übergangslos ab, dass man beinahe die Bremsen knirschen hörte.
    »Kaugummi? Papi blingt Amir Kaugummi aus Eulopa?«
    »Ja, mein Liebling, ja natürlich. Kaugummi. Viel, viel Kaugummi. Mit Streifen.«
    Das Kind weint nicht mehr. Das Kind strahlt übers ganze Gesicht.
    »Kaugummi mit Stleifen, Kaugummi mit Stleifen! Papi Amir Kaugummi aus Eulopa holen! Papi weg fahren! Papi schnell wegfahren! Viel Kaugummi für Amir!«
    Das Kind hüpft durchs Zimmer, das Kind klatscht in die Hände, das Kind ist ein Sinnbild der Lebensfreude und des Glücks.
    »Papi wegfahren! Mami wegfahren! Beide weg fahren! Schnell, schnell! Walum Papi noch hier! Walum …«
    Und jetzt stürzten ihm wieder die Tränen aus den Augen, sein kleiner Körper bebte, seine Hände krampften sich am Koffergriff fest, mit seinen schwachen Kräften wollte er den Koffer zu mir heranziehen.
    »Wir fahren ja, Amir, kleiner Liebling«, beruhigte ich ihn. »Wir fahren sehr bald.«
    »Nicht bald! Jetzt gleich! Mami und Papi jetzt gleich wegfahren!«
    Das war der Grund, warum wir unsere Abreise ein wenig vorverlegen mussten.
    Die letzten Tage waren recht mühsam. Der Kleine gab uns allerlei zu schaffen. In der Nacht weckte er uns durchschnittlich dreimal aus dem Schlaf, um uns zu fragen, warum wir noch hier wären und wann wir endlich fahren. Er hängt sehr an uns Klein-Amir, sehr. Wir werden ihm viele gestreifte Päckchen Kaugummi mitbringen. Auch die Kinderpsychologin bekommt ein paar Päckchen.
    Kurz vor der Ankunft in Haifa war uns seltsam unbehaglich zumute. Etwas lag in der Luft. Wir hätten nicht zu sagen vermocht, was es war – aber es lag.
    »Der Schornstein gefällt mir nicht«, murmelte die beste Ehefrau von allen. Ich schwieg.
    »Und dieses merkwürdige Stampfen«, äußerte sie einige Minuten später.
    Auch mir schien etwas an dem Geräusch nicht ganz geheuer. Um die Nervosität meiner Frau nicht noch zu steigern, blieb ich bei meinem Schweigen und betete stumm in mich hinein.
    Was war das nur. Was um des Himmels willen …
    »Ich hab’s!«, rief meine Frau plötzlich aus. »Der gestreifte Kaugummi! Wir haben den Kaugummi vergessen!«
    Bleicher Schrecken durchfuhr mich. Ich versuchte das verzweifelte Bündel Mensch neben mir zu trösten.
    »Vielleicht«, stotterte ich, »vielleicht erinnert sich Amir nicht mehr …«
    Aber ich glaubte selbst nicht daran.
    Ich lief in die Schiffskantine, um Kaugummi zu kaufen. Es gab keinen. Das Kaugummi-Ähnlichste, was man uns anbot, war eine zwei Meter große Stoffgiraffe. Wir nahmen sie, und dazu noch eine Miniaturplastik der Akropolis, eine Puppe in griechischem Schottenrock sowie ein Ölgemälde der Jungfrau mit dem Kinde.
    Zwei Stunden später waren wir zu Hause.
    Als wir von fern die beiden kleinen Knaben erspähten, die uns und unserem Gepäck erwartungsvoll entgegenblickten, begannen unsere Herzen wild zu klopfen. Mit Rafi würde es keine Schwierigkeiten geben, er war jetzt schon alt genug, er war ein vernünftiges Kind, außerdem hatten wir ihm sicherheitshalber einen Helikopter aus Schokolade und ein Luftdruckgewehr gekauft, ganz zu schweigen von der elektrischen Eisenbahn und dem gefütterten Wintermantel (der eigentlich nicht zählte). Der Billardtisch und das Motorboot würden nachkommen. Nein, um Rafi brauchten wir

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