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Die netten Nachbarn

Die netten Nachbarn

Titel: Die netten Nachbarn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ephraim Kishon
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uns nicht zu sorgen. Aber wie stand es mit Amir?
    Wir hoben ihn hoch, wir herzten ihn, wir setzten ihn behutsam wieder zu Boden. Und während ihm seine Mutter vorsorglich über die Locken strich, fragte sein Vater: »Na! Haben wir die Stoffgiraffe mitgebracht oder nicht?«
    Amir gab keine Antwort. Er sah zuerst die Giraffe an und dann seine Eltern, mit dem gleichen leeren Blick, als wären wir ihm völlig aus dem Gedächtnis entschwunden. Für ein kleines Kind sind drei Wochen eine sehr lange Zeit. Vielleicht erkannte er uns nicht. Und von Menschen, die man nicht kennt, wird man wohl schwerlich gestreiften Kaugummi erwarten können.
    Im Auto saß er stumm auf den Knien seiner Großmutter und starrte vor sich hin. Erst als die Stadt Tel Aviv in Sicht kam, glomm in seinen Augen ein erstes Anzeichen von Familienzugehörigkeit auf.
    »Wo ist Kaugummi?«, fragte er.
    Ich brachte kein Wort hervor. Auch die beste Ehefrau von allen beschränkte sich auf ein unartikuliertes Seufzen, das nur langsam die Gestalt halbwegs zusammenhängender Worte annahm:
    »Der Onkel Doktor … weißt du, Amirlein … der Onkel Doktor sagt, gestreifter Kaugummi ist schlecht fürs Bauchi … ungesund, weißt du …«
    Amirs Antwort erfolgte so plötzlich und in so übergangsloser Lautstärke, dass der Fahrer den Wagen verriss.
    »Onkel Doktor blöd, Onkel Doktor ekelhaft!«, brüllte er. »Papi und Mami pfui. Amir will Kaugummi haben. Gestreiften Kaugummi.«
    Jetzt mischte sich die liebe Oma ein. »Wirklich, warum habt ihr ihm keinen Kaugummi mitgebracht?«
    Das veranlasste Amir, noch höhere Lautstärke aufzudrehen. In solchen Augenblicken ist er gar nicht so hübsch wie sonst. Seine Nase läuft purpurrot an, und rote Haare hat er ja sowieso.
    Auch die zu Hause ergriffenen Gegenmaßnahmen fruchteten nichts. Wir setzten die elektrische Eisenbahn in Betrieb, verschiedenfarbige Luftballons stiegen zur Decke, die beste Ehefrau von allen blies auf einer römischen Trompete, ich selbst schlug ein paar Purzelbäume und bediente dabei die griechische Trommel. Amir sah mir so lange reglos zu, bis ich aufhörte.
    »Na, Amir, mein Sohn? Womit werden wir denn die Giraffe füttern?«, fragte ich.
    »Mit Kaugummi«, antwortete Amir, mein Sohn. »Mit gestleiftem Kaugummi.«
    Man musste die Sache anders angehen, man musste dem Kind die Wahrheit sagen, man musste ihm gestehen, dass wir den Kaugummi vergessen hatten, ganz einfach vergessen. »Papi hatte auf dieser Reise sehr viel zu tun, Amir, und hatte keine Zeit, Kaugummi zu kaufen«, begann ich.
    Amirs Gesicht verfärbte sich blau, und auch das ist kein schöner Anblick: ein blaues Gesicht unter roten Haaren. Ich wandte mich ein wenig seitwärts.
    »Aber der König der Schweiz hat mir fünf Kilo Kaugummi für dich mitgegeben. Sie stehen im Keller. Gestreifter Kaugummi für Amir in einem gestreiften Karton. Aber du darfst nicht hinuntergehen, hörst du? Sonst kommen die Krokodile und fressen dich. Krokodile sind ganz verrückt nach Kaugummi. Wenn sie erfahren, dass im Keller so viel Kaugummi für Amir liegt, fliegen sie sofort los – moderne Krokodile haben Propeller, weiß du – und besetzen zuerst den Keller, dann kommen sie ins Kinderzimmer und schnappen nach Amir, haff-haff-haff, und reißen alle Schubladen auf und suchen überall nach Kaugummi. Willst du, dass Krokodile ins Haus kommen?«
    »Ja!«, jauchzte Amir. »Gestleifte Klokodile. Wo sind die Klokodile? Wo?«
    Mitten ins Scheitern meines pädagogischen Umgehungsmanövers kam die beste Ehefrau von allen aus dem Nachbarhaus zurück, wo sie vergebens um Kaugummi gebettelt hatte. Und die Läden waren bereits geschlossen. Unheilbarer Schaden drohte dem Seelenleben unseres Söhnchens. Wir haben ihm den kostbarsten Besitz entrissen: das Vertrauen zum eigenen Fleisch und Blut. Aus solchem Stoff werden Tragödien gemacht.
    »Kaugummi!«, brüllte Amir. »Will gestleiften Kaugummi!«
    Großmutti hat den Inhaber des benachbarten Kaufladens aus dem Schlaf geweckt, aber der benachbarte Kaufladen führt keinen gestreiften Kaugummi, sondern nur ganz gewöhnlichen. Ich verschwinde mit dem gewöhnlichen Kaugummi in die Küche und mache mich daran, mit Wasserfarben die erforderlichen Streifen aufzumalen. Die beste Ehefrau von allen versucht mir laut stark klarzumachen, wie gefährlich das ist. Rafihat die griechische Trommel entdeckt und bedient sie unablässig. Die Wasserfarben halten nicht und laufen vom Kaugummi hinunter. Im Nebenzimmer explodiert ein Luftballon

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