Die Netzhaut
den Hügel hinauf, an den Appartements vorbei und hinunter zum anderen Strand.
Dort sind weniger Menschen. Inmitten einer Gruppe von Jungs sieht er Daniel und läuft auf ihn zu.
»Klar zum Fußball?«
»Wo?«, fragt Jo.
»Im Schatten natürlich. Wenn du dir nicht die Beine verbrennen willst.«
Daniel ist anscheinend immer von einem Haufen Freunde umgeben. Ist ja auch ein cooler Typ, muss Jo zugeben. Und er sieht gut aus. Gestern Abend saß er am Pool und quatschte mit ein paar Mädchen, die mehrere Jahre älter aussahen als er.
Weitere Jungen schließen sich ihnen an, während sie das Spielfeld markieren und Handtücher als Pfosten hinlegen. Sie sind zu siebt, einschließlich der beiden Schweden, die sie gestern im Volleyball geschlagen haben, und drei anderen, mit denen Daniel englisch spricht.
»Ich frag Papa, ob er mitspielt«, sagt er, »dann wären wir vier in jeder Mannschaft.«
Jo muss insgeheim darüber lächeln, dass Daniel »Papa« sagt. Daniel sprintet zu einem Sonnenschirm an der Steintreppe. Jo sieht, dass sein Vater die Zeitung hinlegt, aufsteht und langsam zu ihnen herüberkommt. Als er sie erreicht, streckt er die Hand aus und begrüßt sie der Reihe nach.
»Ich muss ja schließlich wissen, mit wem ich zusammenspiele«, sagt er mit breitem Grinsen. Er ist sehr groß und muskulös und sieht mit seinen halblangen Haaren wie Obi-Wan aus
Star Wars
aus.
Sie bekommen einen der Schweden in ihre Mannschaft. Er heißt Pontus. Er ist klein, dünn und schnell. Ein typischer Flügelstürmer. Jo spielt am liebsten zentral. Er hat einen guten Schuss, und sein Trainer lobt ihn ständig dafür, dass er beim Spiel den Überblick behält. Ist ihm recht, wenn Daniel in die Spitze geht. Sein Vater bleibt hinten und erklärt sich selbst zum spielenden Keeper.
Daniel ist natürlich gut, erschreckend gut. Eine rasche Finte und einen erbarmungslosen Schuss. Einmal nimmt er den Ball volley. Unhaltbar. Erinnert an Marco van Basten. Aber er konzentriert sich beim Spielen nicht auf sich, sondern hat stets einen Blick für den Nebenmann. Bietet sich ständig an und will Doppelpass spielen.
»Guter Ball!«, ruft er Jo nach einer weiten Flanke zu. Und nachdem Daniel durch eine geschickte Körpertäuschung einen Verteidiger und den gegnerischen Torwart hat ins Leere laufen und den Ball lässig über die Linie rollen lassen, bedankt er sich bei Jo mit erhobenem Daumen für seinen tollen Pass.
Auch sein Vater gehört zu den Typen, die ihre Mitspieler ständig aufmuntern und anfeuern.
»Super, Jo!«, ruft er, als Jo einen Diagonalpass abfängt. »Der hätte mich ganz schön in Schwierigkeiten gebracht.«
Nach dem Match sagt Daniel:
»Komm mit rüber zu uns. Wir haben eine Kühltasche mit Saft. Allerdings keine Cola. Meine Mutter ist eine Gesundheitsfanatikerin. Viel schlimmer als Papa, obwohl der Arzt ist.«
Jo zögert. Warum wird er ständig eingeladen? Es muss etwas dahinterstecken, aber er weiß nicht, was. Die ganze Zeit wartet er darauf, dass Daniel eine verräterische Bemerkung macht, zu erkennen gibt, dass er über ihn lacht. Aber nichts dergleichen geschieht. Gibt es tatsächlich Leute, die seine Mutter noch nicht stockbesoffen auf der Tanzfläche gesehen haben?
»Wir brauchen mindestens zehn Liter Saft, so viel haben wir geschwitzt«, sagt Jo zu seiner Mutter. »Und Jo ist bestimmt doppelt so viel gelaufen wie ich.«
Seine Mutter liegt auf dem Bauch und liest ein Buch. Sie trägt nur ein weißes Bikinihöschen, auf der einen Seite ist ein großes Blatt zu sehen. Sie wirft ihnen einen Blick zu.
»Hallo, Jo«, sagt sie mit ziemlich tiefer Stimme und liest weiter.
Erst jetzt sieht Jo sie aus der Nähe. Sie hat fast gar keine Falten und sieht viel jünger aus als seine eigene Mutter.
»Nehmt euch selbst«, sagt sie gähnend. »Die Tasche steht da drüben.«
Daniels Vater hat sich ein großes Handtuch um die Hüften geschlungen und Badeshorts angezogen. Jo kann sich nicht beherrschen und wirft einen kurzen Blick auf seinen Schritt, doch glücklicherweise sind die Shorts genauso groß und weit wie seine eigenen und die von Daniel.
Mit Brustzügen schwimmen sie hinaus. Jo behält sein gelbes T-Shirt an. Ihm wird klar, dass er sich auch für den Rest der Ferien nicht mehr mit nacktem Oberkörper zeigen wird. Er hätte das Hemd am ersten Tag ausziehen können. Jetzt ist es zu spät. Aber Daniel sagt nichts dazu.
»Lass dich ja nicht auf ein Wettschwimmen mit dem da ein«, warnt er seinen Vater und macht eine
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