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Die Netzhaut

Die Netzhaut

Titel: Die Netzhaut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torkil Damhaug
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Stimme an, dass sie bald schlafen wird. Er dreht sich zur Wand, lässt das kalte Wasser aus dem Duschkopf schießen. Hört, dass der Vorhang zur Seite gezogen wird.
    »Ich dusche!«, wiederholt er, jetzt ziemlich gereizt.
    »Ach, das macht mir nichts aus, Jo. Früher haben wir immer zusammen geduscht.« Sie geht in die Duschkabine und stellt sich hinter ihn. Er weiß, dass sie sich ganz ausgezogen hat.
    »Aber das ist ja eiskalt! Willst du etwa erfrieren?«
    Er dreht den Hebel weiter in die Mitte. Es dauert ein bisschen, ehe das Wasser wärmer wird.
    »Du brauchst dich nicht zu genieren, Jo. Ich bin doch deine Mutter, oder etwa nicht? Früher hab ich dich immer eingeseift, gewaschen und abgetrocknet.«
    Sie nimmt etwas Duschgel und seift ihm die Schultern ein.
    »Jetzt komm schon, Jo. Nackt sein ist was ganz Natürliches.«
    Sie steht immer noch hinter ihm, legt die Arme um seine Brust und seift ihm den Bauch ein. Plötzlich beugt sie sich vor und küsst seinen Nacken.
    »Jo«, sagt sie und verteilt weiter das geschmeidige, nach Flieder duftende Duschgel auf seiner Haut. Er kann Flieder nicht ausstehen, doch da steht irgendwo ein anderer im Schatten und schwingt seinen Hammer; einer, der zum Vorschein kommt, wenn dies geschieht; einer, der ihm das Gefühl gibt, nicht Jo zu sein, sondern dieser andere, dem alles zuzutrauen ist.
    »Du bist ein lieber Junge, Jo. Du bist so lieb … so lieb.«
    »Ich bin nicht Jo«, murmelt er und hebt das Gesicht zum Wasserstrahl.
    *
    Die Uhr zeigt fast halb elf, als er seine Schuhe anzieht. Die Mutter liegt im Bett und wimmert im Schlaf, nackt und immer noch nass, weil sie es nicht geschafft hat, sich richtig abzutrocknen. Jo schleicht sich erneut ins Bad und reibt sich noch einmal mit einem Handtuch ab. Nimmt die Flasche mit Rasierwasser von der Ablage. Es riecht nach Arne, er rümpft die Nase, schüttet sich aber trotzdem ein wenig in seine Handfläche und verteilt es am Hals auf beiden Seiten. Es prickelt eiskalt auf der Haut. Er nimmt einen Schluck von der hellblauen Flüssigkeit. Ein Geschmack nach Seife und Blumen. Fast kommt es ihm wieder hoch. Als er schon die Wohnung verlassen will, fällt ihm etwas ein. Er öffnet die Küchenschublade und nimmt das heraus, was er von Ylva geliehen hat: den Dosenöffner. Nimm ihn mit und gib ihn ihr. Noch ist es nicht zu spät, zu ihr zu gehen. Sie ist in dieser Bar an der Hauptstraße. Gute Gelegenheit, um mit ihr ins Gespräch zu kommen. Er kann sie angrinsen und behaupten, dass er gestern Vormittag mit dem Öffner eine Flasche Bier oder Wein aufmachen wollte, aber bestimmt keine Dose Thunfisch. Und sie wird über die Sache mit dem Thunfisch lachen, und darüber, dass er vergaß, ihr den Öffner zurückzugeben. Und während sie lacht, wird sie seinen Arm drücken, was ihm Gelegenheit gibt, ihr den Arm um die Taille zu legen. Ungefähr so, wie sich Jakka das gedacht hat.
     
    Daniel und die anderen sind nicht mehr am Pool. Es sind auch keine Erwachsenen mehr da, doch von der höher gelegenen Terrasse dringt Gelächter herüber. Jo glaubt, Arnes Stimme zu hören. Arne, der Witze erzählt, mit denen er die dürre Frau zum Lachen bringt. Im Schatten der Treppe läuft Jo zur erleuchteten Minigolfbahn. Dort erblickt er den schwedischen Jungen, der beim Fußball in ihrer Mannschaft war. Pontus hat fast weiße Haare und trägt einen Ohrring. Pontus Pilatus, denkt Jo … Aber
sie
ist nicht da. Auch nicht ihre Freundin und Daniel. Er geht näher heran. Zwei andere Jungen, ebenfalls Schweden, schauen zu, während Pontus sich auf das neunte Loch konzentriert. Sie grüßen ihn flüchtig und scheinen sich nicht mit ihm unterhalten zu wollen. Aber deshalb ist er schließlich auch nicht hier.
    »Wo sind die anderen?«
    Pontus Pilatus zögert.
    »In irgend so ’ner Bar.«
    Er macht eine Kopfbewegung in Richtung Straße.
    Jo läuft hastig die Hauptstraße hinunter. Ist plötzlich außer sich vor Wut auf Arne, der ihn gezwungen hat, auf seine Geschwister aufzupassen, während er eigentlich bei Ylva sein sollte. Auf seine Mutter ist er auch wütend, weil sie nach Hause kam, ehe er sich aus dem Staub machen konnte. Zwei Mopeds knattern vorbei. Aus einer Bar dringt Musik. Typisch griechisches Gitarrengezupfe, das immer schneller wird, wie ein Karussell. Er flucht erneut, weil er Daniel nicht nach dem Namen der Bar gefragt hat. Er dreht um und geht wieder zurück. Beschließt, am Eingang des Hotelgeländes zu warten. Früher oder später müssen sie dort

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