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Die Netzhaut

Die Netzhaut

Titel: Die Netzhaut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torkil Damhaug
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um.
    »Kein Problem«, entgegnet Ylva. »Kannst ihn ruhig später zurückbringen.«
    Er bleibt in der schummrigen Küche stehen und schließt die Hand um den Öffner. Er drückt seine Handfläche so hart gegen die kleine Spitze, dass sie durch die Haut dringt und er den Schmerz bis in die Finger spürt.
    Da hört er die Stimme seiner Mutter im Schlafzimmer. Belegt und verschlafen. Im nächsten Moment kommt sie splitternackt aus der Tür und geht aufs Klo. Er schleicht sich wieder hinaus ins Licht. Das kleine Badezimmerfenster steht offen. Vielleicht steht Ylva vor dem Spiegel und kämmt ihre langen, feuchten Haare. Er klopft erneut. Diesmal öffnet sie sofort, ohne zu fragen, wer da ist.
    »Schon fertig?«, fragt sie und lächelt verhalten.
    »Thunfisch«, erklärt er, etwas anderes fällt ihm nicht ein. »Schön hier«, fügt er rasch hinzu, denn es sieht so aus, als wolle sie die Tür wieder schließen.
    »Ja«, sagt sie.
    »Schöner Strand«, sagt er.
    Sie nickt.
    »Ich geh gleich hin. Muss mich nur erst fertig machen.«
    Es prickelt in seinem Gesicht. Was sie sagt, klingt so wie:
Wollen wir uns am Strand treffen?
Er hebt die Hand, um sie zu berühren, traut sich nicht und streicht sich stattdessen über die Lippen.
    »Dann sehen wir uns später«, sagt er.
    Sie hebt die Brauen, die rechte ein wenig höher, wie er bemerkt.
    »Äh, ja …«, sagt sie und schließt die Tür.
     
    Er steht unbeweglich da und bemerkt, dass er vergessen hat, ihr den Dosenöffner zurückzugeben. Sie hat es offenbar auch vergessen. War anscheinend zu sehr in das Gespräch mit ihm vertieft. Aber noch mal zu klopfen wäre ein Fehler. Jakka hätte ihn davor gewarnt, da ist Jo sicher. Stattdessen steckt er den Öffner in die Tasche. Das gibt ihm Gelegenheit, später noch einmal vorbeizuschauen. Er läuft hinauf in den kleinen Park mit den Spielgeräten, wo immer so viele Katzen sind. Einige streichen umher, andere klettern in den Bäumen. Auch das einäugige Kätzchen ist da, dort drüben am Zaun. Jo macht die Pforte auf. Das Kätzchen erkennt ihn wieder, kommt langsam auf ihn zu und streicht um seine nackten Beine. Obwohl sein Fell zerzaust ist, fühlt es sich weich an. Das kleine Tier schaut mit dem einen Auge zu ihm auf und gibt einen klagenden Laut von sich. Vielleicht will es etwas von ihm. Er weiß es nicht. Vielleicht sollte er es hochheben und das Fell an die Wange drücken. Mit den Fingern die leere Augenhöhle ertasten. Das Kätzchen so lange zusammenquetschen, bis es aufhört zu jammern.
    Doch er begnügt sich mit einem Fußtritt, damit es ihm nicht folgt, wenn er durch die Pforte geht.
    *
    Unterhalb des Kiosks bleibt er stehen und lässt seinen Blick über den Strand schweifen. Er schleicht sich zu dem großen Baum. Irgendwo an diesem Strand muss sie sein, Ylva, denn am anderen Strand, der ein paar hundert Meter entfernt liegt, ist er schon gewesen.
    In diesem Moment erblickt er sie. In ihrem Bikini mit den dunkelroten Herzen kommt sie aus dem Wasser. Sie bündelt ihre Haare, dreht sie ein paarmal und wirft sie sich auf den Rücken. Die kleine Blonde watschelt hinter ihr her wie ein pummeliges Haustier, denkt Jo grinsend und folgt Ylva mit dem Blick. Sie geht zu einem Sonnenschirm in der zweiten Reihe, nimmt ein Handtuch, trocknet Gesicht und Oberschenkel ab, hängt es wieder auf und legt sich in die Sonne.
    Geh zu ihr, Jo, hört er Jakka sagen. Warte, bis sie wieder baden geht, folge ihr ins Wasser und verwickele sie in ein Gespräch. Kein Problem, ein Gesprächsthema zu finden, wenn die Wellen sich vor ihr auftürmen und sie umzuwerfen drohen.
    Er hält sich an den ersten Vorschlag, will nicht länger warten. Schleicht sich näher an sie am Ende des Strands heran. Er erkennt die Erwachsenen wieder, mit denen sie auch im Speisesaal saß. Der Mann, bestimmt ihr Vater, hat graue Haare. Und die Mutter sieht Ylva überhaupt nicht ähnlich. Sie ist klein und hat einen dickeren Bauch als Jos Mutter.
    Zwei Sonnenschirme weiter sitzt Arne.
    Jo bleibt abrupt stehen. Seine Mutter ist natürlich auch da. Und die beiden, mit denen sie am ersten Abend getanzt und rumgemacht haben. Seine Mutter hat ihren rosa Bikini an und liegt flach auf dem Liegestuhl, den Strohhut über dem Gesicht. Neben ihr im Sand stehen zwei große grüne Bierflaschen. Arne hat ihr den Rücken zugekehrt und spricht mit den beiden anderen. Er hat ihn noch nicht entdeckt. Jo dreht sich um und flüchtet sich unter einen Baum. Ohne sich noch einmal umzuwenden, rennt er

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