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Die neue arabische Welt

Die neue arabische Welt

Titel: Die neue arabische Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Großbongardt
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gegenüber den Muslimen in der Mehrheit gewesen sein.
    Zwischen die arabische Elite und die alteingesessene nichtmuslimische Mehrheit schob sich im Lauf der Zeit eine neue soziale Schicht von Muslimen, die aufgrund ihrer Abstammung keine vollgültigen Mitglieder eines arabischen Stammes waren. Diese »Mawali« bestanden, so Lewis, aus »persischen, aramäischen, ägyptischen, berberischen und anderen nichtarabischen Konvertiten« sowie aus solchen, die zwar Arabisch sprachen und auf eine arabische Abstammung verweisen konnten, aber entweder nie zur Herrscherkaste gehört oder ihre Zugehörigkeit verloren hatten. Bald übertraf die Zahl der Mawali die der Araber. In den islamischen Heeren fochten sie an der Seite der Araber, mussten sich aber mit geringerem Sold und kleineren Beuteanteilen zufriedengeben und waren in vieler Hinsicht sozial benachteiligt. Damit waren sie immer weniger einverstanden.
    Ein weiteres Element trug dazu bei, die Umajjadenherrschaft langsam, aber sicher von innen zu zersetzen. Im Jahr
680 hatte der Propheten-Enkel Hussein, der jüngere Sohn des vierten Kalifen Ali, bei Kerbela im Zentralirak einen aussichtslosen Aufstand gegen die Umajjaden unternommen. Er kam dabei um – avancierte aber nun zum verehrten Märtyrer der unterlegenen Anhänger Alis.
    Waren die Schiiten bei Kerbela machtpolitisch gescheitert, so versuchten sie fortan, als religiöse Bewegung zu obsiegen und die Gläubigen auf ihre Seite zu ziehen. Sie bestritten die Legitimität der ersten drei Kalifen und legten als Anhänger des vierten Kalifen Ali entscheidenden Wert auf Charisma und spirituelles Feuer ihrer religiösen Führer, der Imame. Schiitische Propagandisten appellierten an alle Unzufriedenen, besonders an die Mawali. So sammelte sich unter religiösen Parolen eine politische Opposition; sie zog vor allem Perser an, die unter arabischer Dominanz litten.
    Der entscheidende Grund aber, dass die Umajjaden ihre Herrschaft nicht anhaltend etablieren konnten, liegt Historikern zufolge in der tiefen Rivalität zwischen nord- und südarabischen Stämmen, die weit in die vorislamische Zeit zurückreicht. Die jeweils herrschenden Kalifen flüchteten sich in eine Schaukelpolitik, die eine dauerhafte Stabilität des Imperiums verhinderte.
    Auf persischem Gebiet brach schließlich ein Aufstand los, der von unzufriedenen Stämmen ausging, zahlreiche Mawali mitriss und sich immer weiter ausbreitete. Die siegreiche Dynastie wurde nach einem Onkel des Propheten, von dem ihr Anführer abzustammen behauptete, Abbasiden genannt. Im Jahr 750 stürzten sie die Umajjaden und begründeten die abbasidische Ära. Es ging um weit mehr als um die Ablösung einer Dynastie durch eine andere: Ein Kenner des Orients wie Lewis vergleicht den vor allem sozial motivierten Umsturz mit abendländischen Umwälzungen,
wie es die Französische oder Russische Revolution waren.
    An der Spitze der Macht hatten bisher rein arabische Muslime gestanden, gefolgt von Muslimen mit einem arabischen und einem nichtarabischen Elternteil. Dann kamen nichtarabische Muslime mit nichtmuslimischen Eltern, gefolgt von Nichtmuslimen, die zumindest Monotheisten waren; zuunterst schließlich die nahezu rechtlosen Anhänger polytheistischer Religionen. Nun aber wurde diese hierarchische Sozial- und Glaubenspyramide umgestürzt, die sich in 120 Jahren anstelle der von Mohammed verheißenen Gemeinde der Gleichen entwickelt hatte. In der neuen Ära der Abbasiden verschwand das aristokratische Abstammungsprinzip; tatsächlich waren, Lewis zufolge, vom frühen 9. Jahrhundert an »die meisten Abbasidenkalifen und muslimischen Herrscher in ihrer Nachfolge die Söhne von Sklavinnen, die in der Mehrzahl Nichtaraberinnen waren«.
    Wer leer ausging, waren Alis Anhänger, die Schiiten. Sie, die als benachteiligte Minderheit zu den Triebkräften des abbasidischen Umsturzes gehört hatten, fielen ihrerseits der Revolution zum Opfer. Weil die islamische Orthodoxie im arabischen Reich insgesamt deutlich verbreiteter war als die Lehre der Schiiten, schwenkten die Sieger auf die Hauptrichtung des Islam ein, die fortan Sunna (»Brauch«) hieß. Die Schiiten wurden auf Dauer zur Opposition der Sunniten.
    Arabisch, bisher die Sprache der göttlichen Offenbarung, entwickelte sich unter den Abbasiden zur Sprache der gesamten religiösen und juristischen Literatur und etablierte sich als universale Wissenschaftssprache der islamischen Welt. Konvertiten nichtarabischer Herkunft lasen den Koran auf

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