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Feinde kann man sich nicht aussuchen

Feinde kann man sich nicht aussuchen

Titel: Feinde kann man sich nicht aussuchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Strichprobe
4.
Juli
     
     
    Die beste Entscheidung meines Lebens
traf ich auf einer Wiese hoch droben in den kalifornischen White Mountains, die
ich erklommen hatte, um wilde Mustangs zu beobachten.
    Jedenfalls war das meine Absicht
gewesen, als ich es abgelehnt hatte, mit Hy nach Big Pine hineinzufahren, um
Lebensmittel zu besorgen. Jetzt allerdings, da ich es mir in einem Fleckchen
von vertrocknetem, weizenfarbenem Gras am Fuß einer tot aussehenden
Grannenkiefer gemütlich gemacht hatte, merkte ich, daß sich mein Blick schon
wieder nach innen gekehrt hatte. Zeit, zu Potte zu kommen, dachte ich.
Lebensmitte, Wegscheide, wichtiger Punkt. Du kannst die goldene Wahl treffen
oder —
    Darüber wollte ich nicht nachdenken.
    Die Grübelei hatte sich bei mir in
letzter Zeit zu einem chronischen Leiden ausgewachsen. Sechzehn Tage
Ausspannen, so fernab jeder Zivilisation wie möglich, hätten mich eigentlich
kurieren sollen, aber statt dessen hatte ich nur in meinem akuten Problem herumgestochert
— es von der einen Seite frontal attackiert, mich von der anderen heimlich
herangeschlichen. Und das alles ohne großen Effekt; das Problem war nach wie
vor ein zäher, träger Klumpen inmitten meiner Psyche.
    Ich kuschelte mich tiefer in das Gras,
sog seinen bitteren Duft ein. Es raschelte um mich herum und kitzelte mich im
Gesicht. Über mir knarrten die Kiefernäste im leichten Sommerwind; ich hob den
Blick und sah strotzend grüne Triebe an den Zweigspitzen. Doch nicht tot, tat
nur so. Vom Wispern des hohen Grases eingelullt, lehnte ich mich gegen den
rauhen Baumstamm. Schloß die Augen. Und begann wieder zu grübeln.
    Entscheide dich, sagte ich mir. In ein
paar Tagen fährst du wieder heim. Himmelherrgott, entschließ dich endlich.
    Als ich kurz darauf die Augen wieder
aufschlug, sah ich einem wilden Mustang direkt ins Gesicht. Er stand keine
anderthalb Meter von mir entfernt, mit wehender heller Mähne, den Kopf gesenkt,
den langen gescheckten Hals bis zum äußersten gestreckt, und musterte mich.
Seine sanften braunen Augen guckten in meine, und er blinzelte. Offensichtlich
war ich das merkwürdigste Tier, dem er je auf seiner Wiese begegnet war.
    Ein paar Sekunden starrte er mich mit
bebenden Nüstern an. Dann schnaubte er, als wollte er mir mitteilen, daß er uns
Menschen nicht annähernd so beeindruckend fand wie wir selbst. Kopfschüttelnd
warf er sich herum und preschte davon, mit den Hinterhufen austretend, Schwanz
und Mähne stolz im Wind tragend — ein strahlendes, freies Geschöpf.
    Und da stand plötzlich die Lösung
meines Problems so klar vor mir, daß ich aufsprang, mich ebenfalls herumwarf
und davonpreschte. Durchs hohe Gras rannte und mit den Fersen ausschlug,
lachend über herabgefallene Äste setzte. Und lief und lief, bis ich außer Puste
war und keuchend zu Boden sank. Und dalag und immer weiter lachte — der Mustang
würde seiner Herde wahrhaftig etwas zu erzählen haben.
     
    Als Hy zwei Stunden später zu unserem
geborgten Ferienhäuschen zurückkam, saß ich auf dem Rand des Kaminsockels, ein
Glas Wein in beiden Händen, ein breites Grinsen im Gesicht. Mein Liebster
stellte den Karton mit den Einkäufen auf dem rohen Holztisch ab und musterte
mich, wobei er sich den Hängeschnauzer strich. Er hatte sich diese sechzehn
Tage weitgehend aus meinem Entscheidungsproblem herausgehalten — so wie ich
mich umgekehrt aus den Plänen, die er zur Zeit schmiedete —, aber jetzt gewann
seine Neugier doch die Oberhand.
    »Du hast dich entschieden«, sagte er.
    Ich nickte.
    »Du wirst dich abnabeln und es auf
eigene Faust probieren.«
    Ich nickte wieder.
    »Guter Entschluß.«
    Seine Worte ließen das Glücksgefühl in
meiner Brust noch weiter schwellen. Ich grinste noch breiter und beschloß, ihm
vorerst noch nichts von dem Teil meines Plans zu erzählen, der das Ganze erst
perfekt machte.
    Er nahm einen Beutel Eis aus dem
Einkaufskarton und entleerte ihn in die Kühlbox. »Du mußt doch gewußt haben,
daß mir das gefällt.«
    »Na ja, schon. Aber es tut trotzdem
gut, es zu hören. Deine Meinung ist für mich so eine Art... Lackmustest.«
    »Probierstein nenne ich das. Kieselschiefer.
Den benutzt man in der Metallurgie, um den Reinheitsgrad von Gold oder Silber
zu bestimmen. Durch die Strichprobe.« Er zögerte kurz, arrangierte Bierdosen
auf dem Eis und fuhr dann fort: »Du bist für mich auch der Probierstein.«
    In seinem Ton lag eine für ihn ganz
untypische Schüchternheit, die machte, daß mir die

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