Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater
durchzogen von einem weitläufigen Netz von Wasseradern. Hunderte von Bächen, Flüssen und Gräben durchkreuzen das Land, und die Menschen, die hier leben, befahren sie mit Kähnen und Gondeln. Die Einwohner dieses Landstrichs sind seltsame Menschen. Der alte Aberglaube ist tief in ihnen verwurzelt. Sie glauben, der Nix lebt auf dem Grund der Gewässer, ein Wassergeist, dem sie Opfer bringen, um ihn gnädig zu stimmen. Es heißt, Irrlichter führten den Fremden ins Verderben. Selbst die Schlangen, die sich durch die feuchten Wälder winden, haben ihre eigenen Legenden.«
Dies mochte die Gelegenheit zu einem Vorstoß sein. »Ihr meint den Schlangenkönig?«
»Auch ihn.«
»Was hat es damit auf sich? Ich habe nie von ihm gehört.«
Faustus, mit einem Mal in redseliger Stimmung, ließ seinen Blick durch die Baumreihen geistern. »Die Schlange ist ein magisches Tier, soviel entspricht der Wahrheit. Eine Schlange im Rauchfang eines Hauses kann seinem Besitzer seherische Kräfte geben. Pulver, aus ihrem Körper gewonnen, dient zu manch mächtigem Zauber, und einige sagen, wer Schlangenfleisch ist, vermag sich unsichtbar zu machen. Nun, ich habe es versucht.«
»Und?« fragte ich aufgeregt.
»Mir wurde schlecht, und ich lag tagelang darnieder. Höchst sichtbar, übrigens. Ein peinlicher Vorfall.«
Ich nickte enttäuscht. Unsichtbarkeit wäre eine feine Sache gewesen.
»Die Menschen des Spreewaldes füttern die Schlangen mit Milch und Fleisch«, fuhr er fort. »Dadurch erhoffen sie sich Glück und Gesundheit. Oft wohnt ein Schlangenpaar unter der Hausschwelle. Stirbt der Hausvater oder die Hausmutter, ist auch die entsprechende Schlange des Todes.«
»Ihr glaubt, das ist die Wahrheit?«
»Nein. Aber das ist es, was man sich erzählt. Es mag ebenso ein Hirngespinst sein wie die Berichte vom Schlangenkönig. Es heißt, er habe in früheren Zeiten in einem alten Schloß gelebt, dessen menschliche Bewohner schon vor Jahrhunderten ausgestorben sind. Die Sagen beschreiben ihn als gewöhnliche Schlange, nicht größer als jede andere, die aber auf ihrem Haupt eine goldene Krone trägt. Diese Krone ist von unschätzbarem Wert, so heißt es, und manch einer hat versucht, sie an sich zu bringen. Bis auf einen starben alle am Gift der Schlangen, die das Schloß und den König bewachten. Eines Tages aber gelang es einem Förster, in das Anwesen einzudringen. Lange Zeit irrte er durch die gewaltigen Säle und Flure, bis sein Blick durch ein Fenster hinaus auf die Schloßwiese fiel. Dort entdeckte er den Schlangenkönig, wie er mit seinem Gefolge in der Sonne tollte. Die Krone hatte er abgenommen, sie lag am Rande der Wiese im Gras.«
Faustus verhielt einen Augenblick und horchte mißtrauisch hinaus in die Abenddämmerung. Erstaunen erschien einen Herzschlag lang auf seinem fahlen Gesicht, dann aber nahm er den Faden wieder auf: »Der Förster schmiedete einen verwegenen Plan. Am nächsten Tag kehrte er zurück zu jener Stelle, an der die Schlangen zu spielen pflegten, und legte ein durchsichtiges Netz dorthin, wo der Schlangenkönig seine Krone ablegen würde. Tatsächlich tat er es auch diesmal wieder, und – ungeschickt genug – achtete nicht auf das Netz. Der Förster aber hatte einen Faden daran befestigt und zog Netz und Krone zu sich ins Dickicht. Er ahnte, daß die Schlangen auf Rache sinnen würden, deshalb hatte er sein Pferd bereitgestellt und ritt darauf eiligst von dannen. Doch trotz des schnellsten Galopps zischelten die Sklaven des Königs hinter ihm her und drohten, ihn einzuholen. Da schleuderte er ihnen seinen Mantel entgegen, und in ihrer haltlosen Wut verbissen sie sich darin. So konnte er entkommen und die Krone für sich behalten. Den Mantel fand man Tage darauf zerfetzt und durchlöchert am Wegesrand.«
»Und Ihr glaubt, die Legende hat einen wahren Kern?« fragte ich erstaunt, denn eine Schlange mit Krone auf dem Kopf schien mir vielmehr albern als bedrohlich.
»Mag sein«, gab Faustus zur Antwort. »Das Schloß zumindest existiert, wenngleich nur Eingeweihte wissen, wo sie danach suchen müssen.«
»Was aber führt uns dorthin?«
Darauf verstummte Faustus für eine ganze Weile, ehe er sich schließlich besann, uns zumindest einen Teil des Rätsels zu offenbaren. »In jener Nacht, vor einigen Tagen, überbrachte mir ein gefiederter Bote eine Nachricht: Es wird eine Zusammenkunft geben, von Menschen, die ich zum letzten Mal vor vielen Jahren traf.«
»Im Schloß des Schlangenkönigs?«
»Eben
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