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Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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schlimmer. Faustus schien das nicht zu begreifen. Wahrscheinlich stand er weit über solcherlei Sorgen.
    Der Weg führte schnurgerade durch ebenes Gelände. Sterne und Halbmond erhellten sanft, was vor uns lag, doch jenseits der vorderen Baumreihen versank der Wald in Finsternis. Mit einem Mal galt meine Furcht weniger den allzu irdischen Wegelagerern, als vielmehr jener unwirklichen Gestalt, die wir auf der Gondel beobachtet hatten.
    Warum trug der Mann keine Kleidung? Weshalb bewegte sich sein Boot wie von Geisterhand? Und was hatten die fremdartigen Muster auf seinem Rücken zu bedeuten?
    Obgleich sich mir doch sein bedrohlicher Anblick tief hätte einprägen müssen, gelang es mir nicht, in meinem Gedächtnis mehr als verschwommene Schemen auszumachen. Es war fast, als verblaßte die Erinnerung selbst zu groben, vergänglichen Schatten.
    (An dieser Stelle, schaudernder Leser, ist eine kurze Erklärung vonnöten. Ihr wißt, da ich dies niederschreibe, sind all die dargestellten Ereignisse längst vorüber und bedeutungslos; allemal bedeutungsloser jedenfalls, als sie mir damals erschienen. Man sollte meinen, vieles habe sich über die Jahrzehnte hinweg aus meinem Geist verflüchtigt. Der eine oder andere mag gar vermuten, daß ich die Lücken mit Erdachtem fülle. Doch Euer Mißtrauen ist unbegründet. Es ist seltsam, doch die Jahre, die ich an der Seite des Doktors verbrachte, stehen mir noch heute klar und scharf umrissen vor Augen, als habe sich all das Geschehene erst gestern zugetragen – ganz im Gegensatz zu meiner Kindheit, übrigens, und allem, was nach Faustus’ Tod geschah. Um so ungewöhnlicher ist es, daß meine Erinnerung an den Mann auf der Gondel tatsächlich getrübt ist. Mag sein, daß ich damals viel mehr von ihm sah als eben beschrieben. Vielleicht sah ich sein Gesicht, vielleicht begriff ich gar, was die Zeichnung auf seiner Haut bedeutete. Doch wenn dem so war, so kann ich mich dessen heute nicht mehr entsinnen. Obgleich man alles auf vernunftvolle Weise erklären könnte, was damals geschah, so habe ich doch meine Zweifel daran, daß die Vernunft bei dem, was uns bevorstand, eine Rolle spielte. Die Vernunft am allerwenigsten.)
    Wir kamen jetzt in ein Gebiet, in dem es keine Brücken gab. Die Wege waren unbefestigt und wohl seit Jahren kaum benutzt. Oft endeten sie vor einer der zahllosen Wasseradern, die wir zaghaft auf unseren Pferden durchritten. Nicht selten reichte den Tieren dabei das Wasser bis zum Bauch, und mir war mehr als unwohl, wenn meine Beine in schwarzem Gewässer verschwanden. Einmal streifte blitzschnell etwas Glattes meine Wade, und ich erstarrte im Sattel und dachte an den Nix. Wer wußte schon, was die Bewohner der Wälder ihm zum Opfer brachten? Sicher war ein feines Wagnerbein so ganz nach seinem Geschmack.
    Trotzdem blieb ich still und gab mir Mühe, meine Furcht zu verbergen. Angelina ließ sich nichts anmerken, und so wollte auch ich selbst mir keine Blöße geben. Wiewohl, ihre Gesichtsmuskeln waren unter der Narbenkruste erstarrt, und es fiel schwer, ihr überhaupt eine Regung anzusehen. Vielleicht hatte sie unter dieser Narben-Maske ebensolche Angst wie ich. Und doch blieben mir Zweifel. Angelina mußte in den Jahren seit ihrer Entführung weit Schlimmeres durchlitten haben als einen Ritt durch einen Spukwald. Ich hätte viel dafür gegeben, wenn sie jetzt hätte sprechen können. Faustus war ein allzu einsilbiger Reisegefährte.
    Schließlich blieb mein Meister erneut stehen, schaute sich suchend um, horchte wieder und ritt dann voran ins Unterholz. Mir gefiel es nicht, in solch einer Gegend vom Weg abzuweichen, doch Faustus würde wissen, was er tat.
    Zweige schlugen mir ins Gesicht, und auch die Pferde hatten alle Mühe, sich nicht in wucherndem Unkraut und Dornenranken zu verstricken. Der Wall aus unwegsamem Dickicht war nur ein Dutzend Schritte breit, dann erreichten wir einen neuerlichen Weg. Jener war zu meinem Erstaunen gepflastert, wenngleich die Steine von Moos überwuchert und an vielen Stellen im feuchten Erdreich versunken waren. Es mußte viele Jahrzehnte, vielleicht gar Jahrhunderte her sein, daß Menschenhände diesen Steinpfad angelegt hatten.
    Nach einer halben Meile blieb der Wald zu beiden Seiten des Weges zurück und gab den Blick frei auf eine gewaltige, mondbeschienene Lichtung. Im eisigen Glitzer der Sterne wuchs dort eine monströse Ruinenlandschaft aus der Dunkelheit. In ihrer Mitte thronte ein klobiges Gebäude, drei Stockwerke hoch,

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