Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater
derart mit dem schreienden Nicholas beschäftigt, daß sie Gwens Absicht nicht bemerkte.
Gwen kam auf mich zugerannt. Sie ahnte sehr wohl, was ich plante: Ich wollte mich zwischen sie und den gefangenen Mörder werfen. So tat sie das, was am naheliegendsten war, und womit ich doch nicht gerechnet hatte: Sie holte im Lauf mit der geballten Faust aus und schlug sie mir ins Gesicht. Ich taumelte getroffen zurück, und spätestens da bemerkten die anderen, was Gwen vorhatte.
Es war längst zu spät. Ehe Angelina Nicholas herumreißen konnte, war Gwen bereits heran und rammte dem Mörder das eigene Messer bis zum Heft in die Brust. Es war kein ungezielter Angriff, geboren aus unbeherrschter Wut, ganz im Gegenteil. Gwen wußte nur zu gut, worauf sie zielen mußte, und so fuhr die Klinge genau in sein Herz. Nicholas vermochte nur noch seinen Mund zu öffnen, doch kein Laut drang mehr über seine Lippen. Angelina ließ ihn los. Der tote Körper glitt raschelnd zu Boden.
Gwen stand da, blickte erst auf den Leichnam, dann auf uns andere. Einen Moment lang waren wir alle sprachlos.
Sie aber kam auf mich zu, betrachtete meine blutende Nase und fragte mitfühlend: »Tut es sehr weh?«
***
Faustus sprach lange kein einziges Wort. Nicht, als wir die Pferde aus dem Stall holten, und nicht, als wir die Lichtung hinter uns ließen und auf dem Waldweg westwärts ritten. Bosch verabschiedete sich von uns, als die Bäume spärlicher wurden und sich vor uns das Gräsermeer des Hügellands öffnete. Er hatte das Gemälde, daß er in der vergangenen Nacht beendet hatte, in Tücher geschlungen und an der Seite seines Pferdes befestigt. Es war kein herzlicher Abschied, und unsere freundlichen Worte klangen karg und seltsam unpassend eingedenk der Ereignisse. Der alte Mann hatte eine weite Reise vor sich. Ich sah ihm nach, wie er in der Ferne hinter der Kuppe eines grünen Hügels verschwand, das Pferd in langsamem Trott, sein Reiter sanft im Sattel schaukelnd. Die wehenden Gräser verwischten sein Bild wie einen Farbfleck auf einer hellblauen Leinwand.
Das Zwillingsmädchen saß hinter Gwen im Sattel und klammerte sich stumm an ihre Hüften. Delphines Schülerin hatte angeboten, sich weiterhin um die Kleine zu kümmern, zumindest aber bis zur nächsten Stadt, falls sich dort eine Bleibe für sie fand. Ich dachte an die Wegelagerer, deren Spur wir auf dem Hinritt entdeckt hatten, verwarf den Gedanken aber gleich. Gwen verstand es, mit Schwert und Dolch umzugehen. Vorsichtshalber hatte sie Nicholas’ Handbüchse an sich genommen und trug sie nun in einer Schlaufe am Sattel.
Auch diese beiden verließen uns bald. Gwen hatte beschlossen, mit dem Mädchen nach Berlin zu reiten. Bis dorthin waren es knapp zwei Tagesritte, und Delphine hatte dort zahlreiche Freunde, von denen Gwen sich Unterstützung erhoffte. Faustus hatte die Wunden des Zwillingsmädchens mit einer seiner übel riechenden Salben bestrichen und fest bandagiert. »Sie werden bald heilen«, sagte er zuversichtlich, während Gwen nur die Nase rümpfte.
An einem Kreuzweg wünschten wir den beiden Mädchen das Beste und ließen sie ziehen. Sie ritten nach Norden, während wir uns nach Süden wandten.
Unser Ziel war – endlich! – die Ewige Stadt.
Der Weg bis nach Rom war weit, doch die Geschehnisse im Schloß des Schlangenkönigs waren noch zu frisch, als daß ich mir bereits Sorgen um die kommenden Wochen hätte machen mögen. Zu viele Fragen, zu viele ungeklärte Rätsel verdrängten alles andere aus meinem Denken.
Schließlich, es ging gegen Abend, trieb ich mein Pferd zum Galopp, lenkte es quer über die Straße und verstellte Faustus den Weg. Er sah mich an, als erwachte er aus einem langen Schlaf, aus Träumen, die ihn trotz seiner offenen Augen quälten.
»Erklärt es uns«, sagte ich, und es war mehr Forderung als Bitte. Angelina bestärkte mich mit einem entschiedenen Nicken.
Meine Schulter schmerzte noch immer, doch auch hier zeigte die Wundersalbe erste Wirkung. Ein kühler Wind pfiff über das Land. Mit sich brachte er den Geruch nach frischem Gras, aber auch von Regen. Am Horizont ballten sich bereits graue Wolken zusammen. Es würde ein Gewitter geben. Nach der düsteren Enge der Schloßruine erschien mir selbst das wie ein Segen. Die Weite des Hügellandes und das Gefühl von Freiheit versüßten mir jede Unbill des Wetters.
»Erklärt es uns endlich«, wiederholte ich, als Faustus mich immer noch ansah, als hätte ich etwas Unmögliches
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