Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater
befahl.«
»Himmelherrgott!« entfuhr es mir angewidert. »Wie konnte sie das tun?«
»Sie stand völlig in Nicholas’ Bann«, erklärte Faustus betrübt. »Ich bin sicher, er hat sie dazu gezwungen, ebenso, wie er sie dazu brachte, durch den Schlangengraben zu schwimmen. Dabei war ihm gleichgültig, was mit dem Mädchen geschah. Er wollte nur die Krone.«
Fassungslos schnappte ich nach Luft. Ich konnte Gwen ihre Tat nicht länger verübeln – Nicholas hatte den Tod verdient. Plötzlich fiel mir etwas ein: »Den Geheimgang in den Wänden, den habt Ihr doch nicht selbst entdeckt, oder? Ihr wolltet uns weismachen, Ihr hättet einen der Spiegel zerschlagen, doch das war unmöglich. Zum einen hätten wir das Geräusch im ganzen Schloß hören müssen, zum anderen aber waren die Spiegel viel zu hart.«
Mein Meister lächelte. »Du bist sehr aufmerksam, Wagner. Mir scheint, du lernst schneller, als ich dachte.«
Meine Brust schwoll an vor Stolz. »Delphine hat Euch die Gänge gezeigt, nicht wahr? Sie stieß darauf, während sie die Krone suchte.«
»So ist es.«
»Dann waren meine Zweifel an Euch nicht unbegründet«, sagte ich erleichtert. »Ich wußte, daß Ihr uns nicht immer die Wahrheit sagtet, selbst in so kleinen Dingen. Verzeiht, wenn es mich freut, daß ich Euch durchschaut habe.«
Faustus stieß ein schallendes Lachen aus, das erste seit Tagen. »Diese Gunst sei dir gewährt, mein Freund.«
»Habt Ihr jemals wirklich angenommen, daß Braumeister der Mörder war?«
»Wegen Arianes Vision, meinst du? Nein, ich dachte mir, daß sie log. Das war einer der Gründe, weshalb ich sie in der Nacht ihres Todes nicht schützte. Ich bin ganz sicher, sie wollte den Verdacht nur aus Haß auf Braumeister lenken. Sie hat ihm nicht verziehen, was er über ihren Liebling Sisyphos sagte. Keiner der beiden hat die Anwesenheit des anderen je ertragen können, das war schon früher so. Arianes angebliche Vision war nur ein besonders perfides Mittel, ihn ins Unglück zu stürzen. Sie ahnte nicht, daß er an jenem Abend längst tot war – und natürlich konnte sie nicht voraussehen, daß auch sie den Morgen nicht erleben würde. Sie war eben nie ein wirklich gutes Medium.«
»Vielleicht rechnete sie auch damit, daß der Mörder sie verschonen würde«, sagte ich nachdenklich.
Faustus legte die Stirn in Falten. »Wieso das?«
»Falls Braumeister trotz ihrer Vision nicht der Mörder gewesen wäre, so hätte sie doch vom wahren Täter abgelenkt. Möglicherweise glaubte sie, er sei froh darüber, daß sie seine Spur verwischte. So erreichte sie zwei Ziele auf einen Schlag: Sie sorgte dafür, daß der Verdacht auf Braumeister fiel, und hoffte zugleich, damit ihr eigenes Leben zu retten.«
Mein Meister sann schweigend über diese Möglichkeit nach, dann stimmte er zu. »Ihr Pech, daß Nicholas seiner Sache sicher genug war und Arianes Hilfe nicht nötig hatte.«
Wir ritten über die Kuppe eines Hügels und hatten eine prächtige Aussicht über die umliegende Landschaft. Die unbefestigte Straße schlängelte sich als brauner Strang zwischen grüngelben Hängen dahin. Nur hier und da war das wogende Grasland mit Buschwerk und kleinen Wäldern gesprenkelt. Der Wind zerzauste unser Haar. Angelinas Blick war starr nach Süden gerichtet, so als versuchte sie, hinterm Horizont die Paläste Roms zu erblicken. Doch bis es soweit war, würden noch Wochen vergehen. Ich nahm mir vor, die Zeit zu nutzen, um unsere Zeichensprache zu verfeinern. Und um nachzudenken, über mich selbst und Angelina. Es lag soviel Sehnsucht in ihrem Blick über die Hügel, aber ich wußte, daß es eine Sehnsucht nach Rache war. Einmal mehr fragte ich mich, was Faustus dazu trieb, ihr zu helfen. Warum begleitete er sie nach Rom? Was zog ihn dorthin? Ich würde auf eine Antwort drängen, nicht jetzt, aber irgendwann später.
»Wie habt Ihr den Traumvater dazu gebracht, das Schloß zu verlassen?« fragte ich.
»Niemand bringt den Traumvater zu irgend etwas«, erwiderte Faustus. »Es war sein eigener Entschluß zu gehen. Er ist seiner Rolle überdrüssig, und er suchte in der Tat einen Nachfolger. Sein Plan war grausam aber aus seiner Sicht die beste Lösung: Er lud uns ins Schloß des Schlangenkönigs ein und machte uns alle zu seinen Puppen. Er kennt uns Menschen nur zu gut, er weiß um unsere Träume, und ihm war klar, daß er die Krone nur erwähnen mußte, um einen blutigen Wettstreit zu entfesseln. Der, welcher das Blutbad überlebte, wäre würdig
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