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Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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war pure Entkräftung. Ihr Blut floß aus Hunderten winziger Bißwunden, der Schmerz mußte kaum zu ertragen sein. Die Tage im Schloß und an Nicholas’ Seite hatten sie ausgezehrt. Das Mädchen war nur noch eine willenlose Puppe, bereit, seinem Herrn überallhin zu folgen. Selbst in den Tod.
    »Nein!« schrie Faustus auf.
    Nicholas lachte bösartig.
    Das Mädchen umklammerte den goldenen Gegenstand in seiner Faust noch fester, dann tat es den letzten Schritt. Einen Augenblick lang schien sein rechter Fuß bewegungslos über dem Wasser zu schweben, dann kippte es haltlos vornüber. Die Fluten nahmen den zarten Körper auf und überdeckten sein Weiß mit ihrer schwarzen Oberfläche. Jedem war klar, daß das Mädchen viel zu schwach war, um das diesseitige Ufer zu erreichen.
    Nicholas frohlockte. Mit dem Mädchen war auch der Schatz in den Graben gesunken.
    Plötzlich stieß ein heller Arm durch die Oberfläche. Eine Schlange hatte sich darin verbissen. Der Kopf des Mädchens erschien zwischen den Wellen, es schnappte verzweifelt nach Luft. Immer mehr Schlangen glitten in einer strudelnden Bewegung auf das Mädchen zu, schlugen ihre Fangzähne in weiches Fleisch.
    Ich umfaßte die Uferkante mit beiden Händen und zog mich näher ans Wasser. Der Schmerz tobte immer noch höllisch in meiner ganzen linken Seite. Vielleicht konnte ich es schaffen, zu dem Mädchen zu schwimmen und es aus dem Graben zu ziehen.
    Faustus kam mir zuvor. Er sprang über mich hinweg in weitem Schwung ins Wasser und schaffte es fast, bis zum Mädchen zu gelangen. Beide verschwanden für einen Augenblick unter der Oberfläche, dann tauchten sie wieder auf. Schlangen ringelten sich um ihre Glieder, immer wieder schnappten die kleinen Kiefer mit ihren nadelspitzen Fängen zu. Ungeachtet der Schmerzen schwamm Faustus mit heftigen Stößen zum Ufer. Das Mädchen schien die Besinnung verloren zu haben, denn es ließ sich reglos und ohne eigenen Willen herüberziehen. Faustus hob es aus dem Wasser und tauchte dabei selbst wieder für einige Herzschläge unter. Ich ergriff die Kleine und zog sie mühsam ins Trockene. Ihr Körper war federleicht, doch die Schulterwunde entzog meinem Arm alle Kraft. Angelina konnte mir nicht zur Hilfe kommen, sie hielt immer noch Nicholas in eisernem Griff, Nachdem das Mädchen auf den Steinplatten lag, reichte ich Faustus eine Hand. Er ergriff sie und ließ sich ebenfalls nach oben ziehen. Mit fahrigen Handbewegungen schleuderte er einige Schlangen ins Wasser, die sich in seiner Kleidung und Haut verbissen hatten. Er blutete, aber es schien nicht wirklich schlimm zu sein.
    Das Zwillingsmädchen lag bewegungslos da, die Augen geschlossen, den kindlichen Leib blutverschmiert. Es atmete.
    Seine Hände hatten sich zu Fäusten geballt. Beide waren leer. Der goldene Gegenstand, vielleicht die Krone des Schlangenkönigs, war fort, versunken auf dem Grund des Grabens. Es wäre sinnlos und viel zu gefährlich gewesen, weiter danach zu suchen.
    Auch Faustus blickte auf die leeren Hände des Mädchens, doch er ließ sich seine Enttäuschung nicht anmerken. Zumindest nach außen hin schien er zufrieden, das Leben der Kleinen gerettet zu haben. Ich ahnte jedoch, daß es in seinem Inneren anders aussah. Das Ringen um die Krone war zu gefährlich gewesen und hatte zuviele Menschenleben gefordert, als daß ihn ihr Verschwinden nun hätte kaltlassen können.
    Nicholas versuchte erneut, sich loszureißen. Ohne Zögern brach Angelina auch seinen zweiten Arm. Seine Flüche gingen in einem kaum unterdrückten Schmerzensschrei unter.
    Faustus beugte sich über das Mädchen und fühlte seinen Herzschlag. Die Schlangenbisse sahen für sich genommen ungefährlich aus, doch in solcher Menge konnten sie tödlich sein. Allerdings ging die Blutung bereits zurück, nur aus einigen der neuen Wunden, die sie bei ihrem zweiten Sprung in den Graben erlitten hatte, flossen noch hellrote Rinnsale. Das Blut vermischte sich mit dem Wasser, das auf ihrer Haut perlte.
    Ich schaute mich um und suchte Gwen.
    Ich sah noch, wie sie Nicholas’ Dolch aufhob und damit auf den Mörder ihrer Herrin zustürzte. Ihr Gesicht war verzerrt von Haß und Leid.
    Meine Schulter tat mehr als nur weh, ich war erschöpft und außer Atem. Und doch war ich der einzige, der es hätte verhindern können. Sie mußte an mir vorbei, um Nicholas zu erreichen. Faustus erkannte viel zu spät, was geschah; er hatte dem Zwillingsmädchen all seine Aufmerksamkeit geschenkt. Und Angelina war

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